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Erhöhung der Kassenbeiträge Lauterbach warnt vor Panikmache

Wie hoch lässt der Gesundheitsfonds die Krankenkassenbeiträge ab 2009 schießen? Eine Studie hat einen Beitragssatz von 15,5 Prozent vorhergesagt. Im stern.de-Interview unterstellt SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach den Verfassern Panikmache - und der Wirtschaft Heuchelei.

Seit einigen Tagen ist die Debatte über den Gesundheitsfonds erneut entbrannt. Die Wirtschaft fürchtet einen massiven Verlust von Arbeitsplätzen. Zu Recht?

Den Arbeitgebern wird zunehmend klar, dass bei der Einführung des Gesundheitsfonds die Beiträge der derzeit noch günstigen Betriebskrankenkassen steigen werden. Und die Krankenkassen mit hohen Beiträgen – wie zum Beispiel die AOKen – durch den Fonds eher entlastet werden.

Der Widerstand aus dem Arbeitgeberlager war daher zu erwarten: Der geplante Einheitsbeitrag wird insbesondere die Betriebskrankenkassen und somit die Krankenkassen großer Konzerne - wie Daimler, BMW oder Audi – stark belasten. Dass die Arbeitgeberseite den Einheitsbeitrag bekämpft, ist daher keine Überraschung.

Ist die Kritik und die Angst der Arbeitgeber vor Jobverlusten nachvollziehbar?

Nein, überhaupt nicht. Der durchschnittliche Beitragssatz wird durch den Gesundheitsfonds nicht berührt. Somit dürfte die Wirtschaft durch seine Einführung weder be- noch entlastet werden. Es kommt lediglich zu einer Verlagerung der Last und davon sind die großen Betriebe betroffen, aber AOK-Versicherte werden entlastet.

Zur Person: Prof. Karl Lauterbach

Karl Lauterbach ist Professor für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie an der Universität zu Köln. Er ist einer der bekanntesten Kritiker des deutschen Gesundheitssystems und engagiert sich seit 2001 in der SPD. 2005 wurde Lauterbach per Direktmandat in den Bundestag gewählt, wo er unter anderem Mitglied im Ausschuss für Gesundheit ist. Im Zuge der Reform des deutschen Gesundheitssystems sprach er sich wiederholt gegen den Gesundheitsfonds aus, den die Große Koalition beschlossen hatte. 2007 veröffentlichte er seine Kritik am deutschen Gesundheitssystem und seine Reformvorstellungen in dem bei Rohwolt erschienen Buch "Der Zweiklassenstaat."

Also alles nur Panikmache?

Beitragssteigerungen im Rahmen des Gesundheitsfonds sind unvermeidlich, das Geschrei der Wirtschaft war deshalb absehbar. Nur muss den Kritikern klar sein: Der Vorschlag für den Fonds kam von der CDU.

Halten Sie Beitragssteigerungen von bis zu 0,7 Prozentpunkten für realistisch?

Zu so einem hohen Anstieg wäre es nur gekommen, wenn wir kein so gutes konjunkturelles Umfeld hätten. Die gute Wirtschaftslage sorgt aber für deutlich mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und somit für mehr Einnahmen bei den Kassen. Ich gehe deshalb davon aus, dass die Kassen-Beiträge lediglich zwischen 0,2 und 0,6 Prozentpunkten zulegen werden. Die Konjunktur darf nicht außer acht gelassen werden.

Aber die Studie bezieht ausdrücklich ein Wachstum von rund zwei Prozent in ihre Berechnungen ein.

Es ist nicht meine Art die Qualität der Studien anderer Institute öffentlich zu kritisieren, wenn das sich vermeiden lässt. Aber: Einige der Annahmen wurden offensichtlich so gewählt, dass ein möglichst hoher Anstieg der Kassenbeiträge als Ergebnis herauskommt.

Es gibt für mich als Kritiker des Fonds keinen Grund, die steigenden Beiträge zu verharmlosen. Aber zu einer Panikmache wie in der Studie gibt es auch keinen Anlass.

Die Studie behauptet, die Krankenkassen würden ihre Kosten künstlich nach oben treiben, um einen möglichst hohen Einheitsbeitrag zu erwirken. Ein glaubwürdiges Argument?

Auf keinen Fall. Eine künstliche Erhöhung der Beiträge, die nicht auf steigende Kosten zurückzuführen ist, käme einem rechtswidrigen Verhalten gleich. Das würde an den Aufsichtsbehörden nicht unbemerkt vorbeigehen.

Zugleich würde sich die Kasse mit einem solchen Verhalten selbst schaden. Eine einzelne Kasse kann den Einheitssatz nicht wirklich beeinflussen, es müsste schon eine große Mehrheit ihre Beiträge künstlich erhöhen. Ein absurder Gedanke.

In der Vergangenheit ist es so gewesen, dass die Krankenkassen nicht gerade durch ökonomische Experimentierfreude oder Innovationsfreude aufgefallen wäre. Das wäre hier das erste Mal. Ich halte also diesen Mechanismus für sehr weit hergeholt.

Wird es Krankenkassen geben, die die Einführung des Gesundheitsfonds nicht überleben werden, weil sie mit dem Geld nicht ausreichend wirtschaften können?

Ich rechne damit, dass auf der Grundlage der günstigen konjunkturellen Entwicklung fast alle den Umstieg überstehen werden. Hätte sich die Wirtschaft so entwickelt, wie wir das noch vor anderthalb Jahren erwarten mussten, wäre das sicher anders. Die Einführung des Fonds ist für die meisten Kassen dank der guten Konjunktur überlebbar.

Mittelfristig sieht das jedoch ganz anders aus: Viele kleine Kassen können – mit oder ohne Fonds – allein nicht überleben.

Aber auch einige große Kassen könnten gezwungen sein, zum Einheitssatz noch zusätzliche Beiträge, die bis zu einem Prozentpunkt des Bruttogehalts ausmachen können, vom Versicherten zu verlangen.

Es könnte gut sein, dass, wenn der Beitragssatz ausreichend bemessen wird und die Konjunktur weiter gut läuft, die allermeisten Kassen ohne Zusatzbeitrag auskommen werden.

Viele Kritiker so auch Sie – monieren, der Fond würde die Probleme im Gesundheitssystem nicht lösen.

Die Preise für Medikamente und für Leistungen des Arztes werden weiter steigen – mit oder ohne Fonds. Das zeigt: Die Strukturreformen müssen unbedingt weitergeführt werden. Wir brauchen mehr Wettbewerb und mehr Qualität. Wir haben nach wie vor das Problem, mit dem drittteuersten Gesundheitssystem der Welt nur mittelmäßige Ergebnisse zu erzielen. Für die Lösung dieser Probleme ist die derzeitige Diskussion zum Gesundheitsfonds nicht bedeutsam.

Könnte die derzeitige Debatte dazu führen, dass der Fonds doch nicht kommt?

Es bleibt abzuwarten, wie Frau Merkel reagiert, wenn die Wirtschaft noch lauter und vehementer gegen den Einheitsbeitrag rebelliert. Auszuschließen wäre ein solcher Schritt nicht.

Interview: Sebastian Huld

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