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Gesundheitsökonom Fonds unschuldig an steigenden Beiträgen

Eine Studie, die steigende Kassenbeiträge vorhersagt, hat zu einer kontroversen Debatte geführt. Doch der Eindruck, die hohen Beiträge würden durch den Gesundheitsfonds verursacht, stimmt so nicht. Das stellt Studien-Autor Günter Neubauer erstmals im stern.de-Interview klar.

Die jüngste Studie des Münchner Instituts für Gesundheitsökonomik "Finanzielle Auswirkungen des gemeinsamen Beitragssatzes für Mitglieder von Gesetzlichen Krankenkassen ab 2009" hat eine kontroverse Debatte über die Wahrscheinlichkeit steigender Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgelöst. Dabei geht es vor allem um die Rolle des kommenden Gesundheitsfonds als möglichen Grund für die Beitragssteigerungen. stern.de sprach mit dem Studienautor Professor Günter Neubauer.

Herr Neubauer, Ihre Studie prognostiziert für 2009 eine Anhebung des durchschnittlichen Beitragssatzes auf 15,5 Prozent und hat damit für jede Menge Aufregung gesorgt. Was sagen Sie zu dem Vorwurf des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach, Ihre Studie sei voreingenommen und habe die Annahmen bewusst so gewählt, dass ein hoher einheitlicher Kassenbeitrag errechnet wird?

Möglicherweise schließt Herr Lauterbach von seiner Denkweise auf andere. Herr Lauterbach ist ein Experte der SPD, und da stellt sich doch die Frage, ob er in dieser Position überhaupt neutral sein kann. Wir sind dagegen unabhängig und weder partei- noch anderweitig gebunden.

Karl Lauterbach vermutet hinter der Studie die Arbeitgeber, die einen Einheitsbeitrag zu verhindern suchen.

Dass die Arbeitgeberseite den Einheitsbetrag bekämpft, ist richtig, aber wir haben weder für die Arbeitgeberseite noch für andere gerechnet.

Zur Person

Prof. Dr. Günter Neubauer

ist leitender Forscher am Münchner Institut für Gesundheitsökonomik. Seine Studie über die Kostenentwicklung im Gesundheitssystem wurde von der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in Auftrag gegeben. Sie prognostiziert für 2009 einen hohen einheitlichen Beitragssatz von 15,5 Prozent.

In der Politikwissenschaft ist nachgewiesen, dass Studien dazu neigen, die Absichten des Auftraggebers zu belegen. Warum sind Sie davon ausgenommen?

Wenn das Ergebnis den Auftraggebern nicht passt, würden sie es einfach nicht veröffentlichen. Beziehungsweise jeder pickt sich aus einer Studie das heraus, was den eigenen Ansichten entspricht. So tut es ja auch Herr Lauterbach, wenn er sagt, dass unsere Annahmen falsch seien. Man muss beachten, dass die Barmer Ersatzkasse einen Beitragssatz von 15,5 Prozent in die Diskussion gebracht hat. Wir haben unter anderem nachgeprüft, ob die Zahlen plausibel sind. Insofern ist diese Studie in keiner Weise von den Arbeitgebern beeinflusst worden.

Unter anderem bezweifelt Karl Lauterbach Ihre Vermutung, die gesetzlichen Kassen würden im Vorfeld ihre Beiträge künstlich erhöhen, um bei der Festlegung des einheitlichen Beitragssatzes ein möglichst hohes Eingangsniveau zu erreichen.

Der CSU-Experte Zöller hat bei stern.de wiederum den Verdacht geäußert, die Kassen würden sogar die Beiträge künstlich erhöhen. Man muss aber unterscheiden zwischen Beitragssatzerhöhungen und den Ausgaben, die die Krankenkassen für sich ausweisen. Und dass die Kassen die Kosten 2008 oben halten, um 2009 ein entsprechendes Budget zu erhalten, ist eine allgemein praktizierte Logik.

Wundert es Sie nicht, dass ausgerechnet ein CSU-Mann wie Wolfgang Zöller, der die Kopfpauschale befürwortet, die prognostizierte Beitragssteigerung von bis zu 0,7 Prozentpunkten, als "Frechheit" und als "Panikmache" bezeichnet?

Herr Zöller wirft uns vor, wir hätten die steigenden Beiträge dem Gesundheitsfonds zugeschrieben. Die Behauptung, der durchschnittliche Beitragssatz könnte wegen des Gesundheitsfonds steigen, ist schlichtweg falsch. Das haben wir so nicht gesagt. Wir haben die steigende Ausgabenentwicklung untersucht, und diese wird vom Gesundheitsfonds nicht direkt beeinflusst.

Ihr Auftraggeber, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, schreibt in ihrer Pressemeldung: "Verantwortlich für den Anstieg ist die Mechanik des neuen Gesundheitsfonds, der ab 2009 eingeführt wird." Ihr Auftraggeber verfälscht demzufolge die Aussage Ihrer Studie!

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und auch die "Bild"-Zeitung interpretieren aus unserer Studie heraus, was ihren jeweiligen Interessen dient. Wir jedenfalls schätzen die Einführung des Fonds nicht als ursächlich für die Beitragssteigerungen. Der Fonds hilft aber auch nicht, die Kosten in den Griff zu bekommen.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach nennt einige Indikatoren, die in Ihrer Studie nicht auftauchen oder seiner Meinung nach falsch interpretiert werden - unter anderem die Bedeutung der konjunkturellen Entwicklung und die Höhe des Bundeszuschusses. Warum unterscheiden sich die Annahmen zweier Gesundheitsexperten, die beide gegen den Gesundheitsfonds sind, so stark?

Wir haben eine Expertise gemacht und nicht den Anspruch, die gesamte künftige Entwicklung in vollem Umfang ausgeleuchtet zu haben. Die Einschätzung von Herrn Lauterbach, der durchschnittliche Kassenbeitrag könne um 0,2 bis 0,6 Prozentpunkte steigen, ist übrigens nicht so weit von unserer Studie entfernt. Selbst wenn wir einige der von ihm kritisierten Indikatoren wegließen, kämen wir auf deutlich über 15 Prozent durchschnittlicher Kassenbeitragssätze für 2009.

Das Bundesgesundheitsministerium wirft Ihnen vor, die Studie und deren Ergebnisse seien unseriös.

Das Ministerium macht in jedem Herbst eine Ausgabenvorgabe für das nächste Jahr. So hat das Ministerium im Herbst 2008 die Vorgabe gemacht, dass die durchschnittlichen Kosten im Jahr 2008 nur um 0,64 Prozentpunkte steigen dürfen. Und diese Vorgaben werden regelmäßig überschritten. Da könnte ich genauso gut sagen, es ist unseriös, was das Ministerium macht.

Was erscheint Ihnen sinnvoller: Kopfpauschale oder Bürgerversicherung?

Hinter den Konzepten stehen unterschiedliche ordnungspolitische Vorstellungen. Krankenkassen und Krankenhäuser sind heute Wirtschaftsunternehmen, weshalb ich das wettbewerbsorientierte Konzept einer Gesundheitswirtschaft, wie es die Gesundheitsprämie vorsieht, bevorzuge. Die Gesundheitsprämie oder auch Kopfpauschale, ist nicht die beste aller Möglichkeiten, aber doch die bessere.

Interview: Sebastian Huld

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