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Politik Gutachten

Missglückte Operation Gesundheitsfonds

Quelle: Infografik WELT ONLINE
Unterfinanziert, umstritten, unbrauchbar: Das wissenschaftliche Urteil zum Gesundheitsfonds ist vernichtend. Die Experten lassen kein gutes Haar an den Plänen der Regierung. Selbst in der Politik lichten sich die Reihen der Befürworter. Warum Merkel und Co den Fonds trotzdem durchsetzen werden.

Wissenschaftliche Gutachten sind oft schwer zu verstehen. Dieses aber enthält Sätze, die auch ein Laie begreift. Da ist gleich auf der ersten Seite von „grotesker Unterfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ die Rede. Weiter hinten heißt es, von einer Umsetzung der Pläne sei „abzuraten“. Vernichtender kann ein Urteil nicht ausfallen.

Das Gutachten stammt von drei namhaften Gesundheitsökonomen und wurde von der Bundesregierung in Auftrag gegeben. Die Experten sollten prüfen, welche Wirkung ein bestimmter Teil des umstrittenen Gesundheitsfonds hat. Es geht um das Geld, das durch die Gesundheitsreform ab 2009 umverteilt werden soll. Das Ergebnis: Der Fonds bewirkt, dass zwischen den Bundesländern jedes Jahr mehrere hundert Millionen Euro verschoben werden. Und bis jetzt ist nicht klar, ob und wie sich diese Umverteilung sinnvoll begrenzen lässt. Die entsprechende Passage im Gesetz ist jedenfalls unbrauchbar – stellen die Gutachter Jürgen Wasem, Florian Buchner und Eberhard Wille nun unmissverständlich fest.

Das Gutachten wirft damit erneut schlechtes Licht auf eine Gesundheitsreform, die umstrittener nicht sein könnte und deren Sinn sich fast nur noch Experten erschließt. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) ließ gestern zwar die Parole ausgeben: „Der Fonds funktioniert!“ Die Frage ist aber: Zu welchem Preis? Und: Wem nützt der Fonds wirklich?



Immer weniger Befürworter


Die Antwort darauf fällt der großen Koalition zunehmend schwer. Die Reihen derer, die auf jeden Fall an dem Fonds festhalten wollen, lichten sich. Aus Bayern feuert die CSU wie vor zwei Jahren Breitseiten auf die Gesundheitsministerin. Ulla Schmidt und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aber wollen und müssen das Projekt durchziehen. Blasen sie es ab, wäre der politische Schaden immens – zu sehr haben beide ihr politisches Schicksal mit der Reform verbunden. Im Kanzleramt wurde schnell eine Besprechungsrunde einberufen; die Fraktionsspitzen von Union und SPD debattierten schon beim Koalitionsfrühstück über das Thema.

„Zum Schluss habe ich die Gesamtverantwortung“, hatte Merkel im Oktober 2006 gesagt. Das war vor den entscheidenden Koalitionsverhandlungen zur Gesundheitsreform. Damals, in einer langen Nacht vom 4. auf den 5.Oktober, war das Problem entstanden, das den Koalitionären heute um die Ohren fliegt. Der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) hatte darauf bestanden, eine besondere Klausel in die Reform zu schreiben. Sie sollte Bayern – und andere Bundesländer – vor den ärgsten Nachteilen der Reform schützen: Die Krankenkassen im Freistaat sollten unter dem Strich nicht mehr als 100 Millionen Euro von ihren Beitragseinnahmen an den Fonds abgeben müssen. Diese „Konvergenzklausel“, an der die CSU-geführte bayerische Staatskanzlei und das Bundesversicherungsamt mitwirkten, erweist sich nun als undurchführbar. Eine Notoperation soll sie nun retten.


CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer hindert das freilich nicht, ihre Pfeile auf die Gesundheitsministerin zu lenken. Diese habe „die Umsetzung der Gesundheitsreform überhaupt nicht im Griff“, polterte Haderthauer gestern. Das Gegenteil aber ist der Fall. Denn die Botschaft aus dem Gesundheitsministerium, der Fonds funktioniere, ist auch eine Drohung und soll heißen: Der Fonds funktioniert auch ohne „Konvergenzklausel“. Die Folgen wären dann nur noch verheerender, als sie sich bisher andeuten.



Bayern auf den Barrikaden


Dass ausgerechnet Bayern auf die Barrikaden steigt, hängt damit zusammen, dass sich der Fonds hier besonders negativ bemerkbar macht – und das vor den Landtagswahlen im September. Vor allem die Ärzte sitzen der Regierung von Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) im Nacken. Sie befürchten massive Einkommenseinbußen durch den Fonds. Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern gingen den niedergelassenen Medizinern pro Jahr 500 Millionen Euro verloren, das wären zehn Prozent der Summe, die sie von den Kassen pro Jahr erhalten. Der Grund für diese drastische Gehaltskürzung sind die hohen Einkommen, die bayerische Ärzte derzeit bekommen. Ihre Honorare liegen rund 20 Prozent über denen ihrer Kollegen im Rest der Republik. Zahlreiche Sonderverträge mit den Kassen bringen noch einmal zusätzliches Geld. Mit diesem Segen aber ist es nach dem Start des Gesundheitsfonds vorbei.

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Künftig überweist der Fonds an alle Krankenkassen, auch an die bayerischen, für jeden Versicherten denselben Betrag (siehe nebenstehenden Text). Für die Behandlung bayerischer Versicherter steht damit dieselbe Summe zur Verfügung wie für jene in Mecklenburg-Vorpommern. Hinter all dem steht das Ziel der Bundesregierung, die Finanzierung des Gesundheitswesens ebenso zentral steuern zu können wie sie die Arbeitslosen- oder die Rentenversicherung steuert. Dieser Plan ist denn auch der eigentliche Grund für den Fonds. Die Bundesregierung hat die Kassen entmachtet, weil sie glaubt, die immer wieder steigenden Gesundheitskosten so besser in den Griff bekommen zu können.



Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden


Dass das klappen wird, bezweifeln indes nicht nur die Experten der Krankenkassen. Der Fonds sei so konstruiert, dass das Geld an allen Ecken und Enden fehlen werde, heißt es in Koalitionskreisen. Die Kassen könnten nur noch in minimalem Umfang eigene Einnahmen erzielen. Gleichzeitig hätten sie aber neue Möglichkeiten, Geld in Form von attraktiven Prämien an ihre Versicherten auszuschütten. Dieses Geld werde dem Gesundheitswesen jedoch fehlen. Die Bundesregierung werde nur noch damit beschäftigt sein, Löcher zu flicken.

Wie das aussehen wird, ist das erste Mal in diesem Herbst zu besichtigen. Dann legen Merkel und Schmidt den einheitlichen Beitragssatz fest, über den der Gesundheitsfonds 2009 finanziert wird. Ersten Prognosen zufolge wird dieser Beitragssatz deutlich über der Marke von 15 Prozent vom Bruttolohn liegen. Höhere Krankenkassenbeiträge aber sind das letzte, was sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber wünschen, vor allem in einer Zeit, in der die Wirtschaft bald nicht mehr rund laufen könnte. Es gibt nicht wenige, die deshalb vermuten, dass die Regierung noch einmal Steuergeld locker macht, um weitere Diskussionen um den Fonds zu unterbinden und ihn wenigstens zum Start gut zu füllen.

Trotz aller Bedenken haben sich die meisten Krankenkassen inzwischen mit dem Fonds arrangiert. Einige von ihnen wollen zwar noch erreichen, dass er nur im Testbetrieb oder zumindest schrittweise eingeführt wird. Doch die Chancen, dieses umstrittene Projekt noch zu stoppen, sind denkbar gering. Zu eng ist der Zeitplan bis zum geplanten Start im Januar 209 gesteckt. Krankenkassen, Ärzte und die beteiligten Behören müssen sich darauf vorbereiten. Es gibt nur noch einen unfertigen Teil der Gesundheitsreform, den die Länder im Bundesrat aufhalten könnten, um Druck auszuüben. Weil sie von diesem Gesetz aber selbst profitieren werden – es geht um das Insolvenzrecht für Krankenkassen – ist diese Option äußerst fraglich.

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