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Ärzte wollen medizinische Leistungen rationieren

Jörg Dietrich Hoppe Jörg Dietrich Hoppe
Will das Gesundheitssystem reformieren: Der Chef der Bundesärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe
Quelle: AP
Die Ärzteschaft gesteht erstmals ein, dass nicht mehr alle Patienten eine umfassende Gesundheitsversorgung bekommen können. Bestimmte Behandlungen sollen Patienten künftig selbst bezahlen, fordert der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe auf WELT ONLINE. So etwa die bisher bezahlten Kuren.

Es steht schlecht um das deutsche Gesundheitssystem. Den Krankenkassen fehlt das Geld und den Patienten droht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zwischen privaten und gesetzlich Versicherten. Doch die Situation droht noch schlimmer zu werden, befürchtet der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, der eine Rationierung von medizinischen Leistungen fordert, um das Gesundheitssystem überhaupt noch am Laufen zu halten.


WELT ONLINE: Herr Hoppe, Sie haben gesagt, Ärzte seien nur noch "Agenten der Zuteilungsmedizin". Warum sind Sie so schlecht gelaunt?


Jörg-Dietrich Hoppe: Das liegt an den Rahmenbedingungen, unter denen wir unseren Beruf ausüben. Es geht nicht mehr um das beste Verhältnis zwischen Arzt und Patient, sondern wir schlagen uns mit Unmengen von Bürokratie herum.


WELT ONLINE: Was meinen Sie denn mit "Zuteilungsmedizin"?

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Hoppe: Die Krankenkassen und die Politik haben viele Vorschriften geschaffen, die den Ärzten sagen, was sie zu tun haben, wie sie behandeln müssen oder wie sich Patienten verhalten sollen. Es gibt kaum mehr Spielraum, weil fast alle Abweichungen mit finanziellen Sanktionen belegt sind. Die Ärzte fühlen sich eingeengt.


WELT ONLINE: Was muss geschehen, damit die Ärzte glücklicher werden?


Hoppe: Diese Vorschriftenmedizin muss weniger werden. Und die Ärzte müssen endlich aus der Rolle entlassen werden, dass sie es sind, die den Patienten sagen müssen, wenn sie bestimmte Behandlungen nicht mehr bekommen.


WELT ONLINE: Wer soll es den Patienten dann erklären?


Hoppe: Das muss auf höherer Ebene entschieden und dann auch öffentlich diskutiert werden. Wenn bekannt ist, dass die Krankenkassen bestimmte Leistungen nicht mehr bezahlen, hat das eine andere Qualität, als wenn die Patienten den Eindruck haben, ihr Arzt verweigere ihnen ein Medikament.

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WELT ONLINE: Diese höhere Ebene soll der "Gesundheitsrat" sein, den Sie vorgeschlagen haben. Ist das nicht nur neue Bürokratie?


Hoppe: Wir haben jede Menge Experten-Räte...


WELT ONLINE: ...eben!


Hoppe: Wir wollen stattdessen ein Gremium, in dem Ärzte, die tatsächlich in der Krankenversorgung im Einsatz sind, mit Juristen, Ökonomen und Ethikern beraten. Dieser Rat soll der Politik Empfehlungen geben, welche Prioritäten es bei der medizinischen Versorgung geben soll.


WELT ONLINE: Es geht also darum, welche Behandlungen notwendig oder sinnvoll sind und welche den Patienten nicht mehr bezahlt werden.


Hoppe: Ja. Es ist inzwischen so, dass wegen der strikten Ausgabenbegrenzung nicht mehr alles für alle bezahlbar ist. Das heißt, eine Form von Rationierung medizinischer Leistung ist unumgänglich. Aber diese Rationierung soll transparent sein, und sie soll nicht vom behandelnden Arzt getroffen werden müssen.

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WELT ONLINE: Bisher haben Sie sich immer gegen Rationierung gewehrt. Woher der Sinneswandel?


Hoppe: Es gibt seit Jahren eine heimliche Rationierung. Wir Ärzte haben sie bisher nicht akzeptiert und versucht, sie zu kompensieren. Inzwischen ist klar, dass es Rationierung in jedem Land der Welt gibt, eben auch bei uns in Deutschland. Die Rationierung muss aber offen diskutiert werden, und dabei wollen auch wir Ärzte mitreden. Die Politik und die Kassen dürfen nicht länger behaupten, die Patienten bekämen die notwendige Versorgung, und in Wirklichkeit wird dieses Notwendige dem Finanzierbaren angepasst. Das machen wir nicht mehr mit.


WELT ONLINE: Wie soll die Entscheidung über die Rationierung ablaufen?


Hoppe: In Schweden, das ja von vielen Politikern immer als Vorbild herangezogen wird, gibt es bereits eine politisch verantwortete Priorisierung. Dort ist es so, dass zuerst eingegriffen wird, wo die Not am größten ist, also beispielsweise bei Tumoren oder bei Herz-Kreislauferkrankungen. Alles andere wird nachrangig finanziert. Bestimmte Behandlungen müssen Patienten dann selbst bezahlen, natürlich sozial abgefedert. Das gilt vor allem für den Wellnessbereich.


WELT ONLINE: Wo wollen Sie da die Grenze ziehen?


Hoppe: Es gibt ja Menschen, die bezeichnen schon ein künstliches Hüftgelenk als Wellness. Das ist natürlich völlig überzogen. Aber bestimmte Kuren könnten dazu gehören.


WELT ONLINE: Die Menschen werden immer älter, der medizinische Fortschritt kostet Geld. Wie sollen wir mit den steigenden Kosten der Gesundheitsversorgung umgehen?


Hoppe: Ich glaube, die Leute wollen lange und gesund leben. Also sind sie auch bereit, dafür etwas zu investieren. Es sind doch vor allem die Arbeitgeber, die sagen, die Krankenkassenbeiträge sollen einen bestimmten Prozentsatz vom Einkommen nicht übersteigen. Nur durch diese Lohnkostendebatte wird das Budget für Gesundheitsversorgung auf eine relativ geringe Summe eingegrenzt. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt, den wir für die gesetzliche Krankenversicherung ausgeben, beträgt seit Jahrzehnten nicht einmal sieben Prozent. Das ist im internationalen Vergleich wenig.


WELT ONLINE: Was soll sich bei der Finanzierung des Gesundheitswesens ändern?


Hoppe: Die gesetzliche Krankenversicherung muss von Lasten befreit werden, die ihr nicht zugeordnet werden können. Dazu gehören vor allen Dingen die versicherungsfremden Leistungen, beispielsweise familienpolitisch begründete Maßnahmen wie Haushaltshilfen oder auch die beitragsfreie Mitversicherung von Ehegatten. Wenn man hier kräftig aufräumen würde, stünden pro Jahr mindestens vier Milliarden Euro mehr zur Verfügung.


WELT ONLINE: Aber klagen Sie insgesamt nicht etwas zu heftig? Die Ärzte bekommen nächstes Jahr immerhin rund drei Milliarden Euro mehr Honorar.


Hoppe: Es wäre schön, wenn es denn tatsächlich so wäre. Dann bekämen die Ärzte wenigstens eine keine Summe dessen bezahlt, was sie heute umsonst erbringen.


WELT ONLINE: Nächstes Jahr startet der umstrittene Gesundheitsfonds. Dann wird es einen einheitlichen Kassenbeitrag für alle geben. Was bedeutet das?


Hoppe: Wenn der Fonds tatsächlich anläuft, wird das Gesundheitssystem durch einen Mix aus Beiträgen, Steuerzuschüssen und den Zusatzbeiträgen finanziert, die die Kassen erheben können. Ein Wettbewerb unter diesem Preisdruck wird in Qualität und Leistung sicherlich zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Eine flächendeckende Versorgung auf hohem Niveau kann dann niemand mehr garantieren.


WELT ONLINE: Was halten Sie davon, Qualitätskriterien für Ärzte einzuführen? Die Kassenärztliche Bundesvereinigung arbeitet ja an einem "Ärzte-TÜV".


Hoppe: Ich halte einen "Ärzte-TÜV" grundsätzlich für überflüssig und für zu teuer. Diese ganze Qualitätskontrollindustrie ist eine Modeerscheinung. Man kann auch jetzt schon sehen, was Ärzte abrechnen und welche Diagnosen sie stellen. Das reicht um zu sehen, ob solide Medizin gemacht wird.


WELT ONLINE: Alle Ärzte bieten hohe Qualität?


Hoppe: Natürlich ist nichts so gut, dass man es nicht noch besser machen könnte. Aber im internationalen Vergleich haben wir hier in Deutschland ein sehr hohes Niveau. Die meisten Ärztinnen und Ärzte sind sehr engagiert und geben ihr Bestes.


WELT ONLINE: Aber wie finde ich das als Patient heraus?


Hoppe: Die Beziehung zwischen Arzt und Patient hängt doch nicht nur mit bestimmten Qualifikationen zusammen. Die Chemie zwischen beiden muss stimmen, das ist das Wichtigste.

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