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Internet Verdünnte Freiheit

Über den neuen Rundfunkstaatsvertrag hofft die Politik, ihre Macht von den öffentlich-rechtlichen Anstalten auf Online-Medien ausdehnen zu können - mit grotesken Folgen. Kritiker befürchten Zensur im Internet.

Alle 30 Jahre, so die ungeschriebene Regel der Medienpolitik, gibt es einen Knall. Im Nachkriegsjahr 1948 gaben die Briten den Hamburger NWDR frei: der Urknall des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. 1978 einigten sich mehrere Ministerpräsidenten auf die versuchsweise Verkabelung deutscher Städte, den Urknall des Privatfernsehens.

Der nächste Knall ist, pünktlich, für den Donnerstag dieser Woche vorgesehen. Dann treffen sich in Berlin die Ministerpräsidenten aller 16 Länder, "um eine Weichenstellung für die nächste Epoche der Mediennutzung" (ZDF-Intendant Markus Schächter) zu beschließen: Das Internet soll zur Domäne des öffentlich-rechtlichen Fernsehens werden. "Richtig Freude" empfindet der Vorsitzende der als "Rundfunkkommission" fungierenden Länder-Runde, der SPD-Chef Kurt Beck, dabei.

Er ist vermutlich der Einzige, der sich freut. Denn die von der Politik angezettelte neue Rollenverteilung zwischen Rundfunk und Presse im Netz hat nicht nur zu Streit und Ratlosigkeit unter den Länder-Chefs geführt. Ärger droht mit den Wettbewerbsaufsehern in Brüssel, Empörung herrscht unter den deutschen Presse-Verlegern, selbst die mit neuen Aufgaben ausgestatteten öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten können mit den bislang vorliegenden Entwürfen für einen neuen "Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien" nicht glücklich sein.

Denn der Versuch der Länder, hineinzuregieren in die Freiheit des World Wide Web, dürfte nicht nur massive Behinderungen der Pressefreiheit, sondern auch der Freiheit des Fernsehens mit sich bringen. Der Entwurf, über den am Donnerstag entschieden werden soll, erteilt den Anstalten der Länder den öffentlichen "Auftrag", im Netz ebenso wie im klassischen Fernsehen mit eigenen, gebührenfinanzierten Auftritten für Bildung, Information, Kultur und wahrscheinlich auch Unterhaltung zu sorgen. Damit dies nicht so einfach ist, sollen sich die Öffentlich-Rechtlichen aber neue Auftritte in einem komplizierten Gremien-Verfahren genehmigen lassen.

Zugleich stellt der Vertragsentwurf die bisher erfolgreichen Netzauftritte von Presseunternehmen in Frage. Die staatlich versorgten Anstalten sollen mit ihren Gebühren-Milliarden den werbefinanzierten Verlagsangeboten Konkurrenz machen können - einzig das Veranstalten "elektronischer Presse" bliebe den Fernsehmachern verboten.

Doch als "elektronische Presse" wollen die Länderchefs nicht etwa die digitalen Auftritte der Presseunternehmen anerkennen, sondern nur Seiten, die "nach Gestaltung und Inhalt Zeitungen oder Zeitschriften entsprechen" - also streng genommen reine E-Papers, ausdruckbare und bisher geschäftlich irrelevante Versionen der Originalprodukte, die an den Kiosken zum Verkauf liegen.

Freiheit ade für Online-Medien also. Künftig könnte - wenn sich die Ministerpräsidenten denn darauf einigen - das gesamte Angebot behördlicher Aufsicht unterstellt werden. Redakteure, die sich in der "Süddeutschen Zeitung" oder dem SPIEGEL wie in jedem anderen Printverlag sicher vor staatlicher Einflussnahme fühlen dürfen, wissen nicht mehr, was ihnen droht, wenn sie ihren Artikel den Kollegen von Online zur Veröffentlichung geben. So weit könnte es kommen: Wenn die Obrigkeit empfindet, dass ein Beitrag gegen Recht und Ordnung verstößt, darf sie eigenmächtig und ohne einen Richter um Erlaubnis zu bitten, eingreifen und die missliebige Seite entfernen lassen.

Ebenfalls in der Diskussion: Die Pressefreiheit im Netz wird - so wie der Auftritt privater Fernsehanstalten - unter behördlichen Genehmigungsvorbehalt gestellt. Was seit Besatzungszeiten nicht mehr möglich war, wird per Staatsvertrag zur Vision des freudigen Medienpolitikers Beck: Journalismus unter amtlicher Aufsicht.

Was Wunder, dass der SPIEGEL und andere private Medien in diesem Streit eine Einschränkung der Pressefreiheit bekämpfen. Was Wunder aber auch, dass Politiker in diesem Streit auf der anderen Seite stehen: 15 zu 1, so war zum Ende der abgelaufenen Woche die Stimmungslage in den Staatskanzleien der Länder. Nur der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) hat den Betroffenen am Medienstandort Hamburg zugesagt, sich für eine Modifizierung des Staatsvertrags einzusetzen.

Die große Mehrheit sieht die Chance, künftig mit unliebsamen Medien im Netz ebenso umspringen zu können, wie es jetzt schon zuweilen bei den Landesrundfunkanstalten geschieht. Deren Aufsichtsgremien sind zu einem erheblichen Teil mit Politikern besetzt. Beim Fernsehrat des ZDF sind 31 von 77 Mitgliedern Vertreter von Bund, Ländern und Parteien: Transmissionsriemen der politischen Willensbildung von oben nach unten. Kaum ein Intendant von ARD oder ZDF bleibt von den Telefonanrufen aus der Staatskanzlei verschont.

Selbst Provinzpolitiker wie der Berliner Oppositionsführer Friedbert Pflüger (CDU) fühlen sich berufen, mitzureden bei dem, was dem Volke geboten wird. Vor wenigen Tagen forderte er öffentlich die Absetzung der ARD-Vorzeigefrau Anne Will als Polit-Talkerin, weil sie Oskar Lafontaines frechen Lügen nicht entgegengetreten sei. Bislang war es unvorstellbar, dass sich einer wie Pflüger in vergleichbarer Weise zu Lasten des zuständigen Redakteurs über ein unliebsames Online-Interview geäußert hätte.

Das könnte sich ab Donnerstag ändern. Und der neue Urknall sprengt nicht nur den in jahrzehntelanger Verfassungsrechtsprechung aufgehäufelten Schutzwall der Pressefreiheit, er nimmt auch den Kollegen vom Fernsehen den Mut. Was auch immer sie an neuem Journalismus fürs Internet vorhaben, nach den Entwürfen der Politiker muss es in eine Gremienmühle, Gutachter werden sich drüber beugen, die staatliche Rechtsaufsicht muss es prüfen. Und es ist damit zu rechnen, dass "Dritte", also andere Medien-Unternehmer, die laut Vertragsentwurf "gehört" werden müssen, mit dem Ergebnis solch eines Prüfprozesses unzufrieden sind und vor Gericht ziehen: Parteipolitiker, Bürokraten und Richter sind es dann, die über journalistische Berichterstattung zu urteilen und sie zu verbieten haben.

Wer braucht das öffentlich-rechtliche Fernsehen noch?

"Drei-Stufen-Test" ist das Reizwort für die neue Art der Regulierung von Rundfunkfreiheit, eine Erfindung von Bund und Ländern: Erstens muss sichergestellt werden, dass "das Angebot den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht", zweitens muss "das Angebot in qualitativer Hinsicht zum publizistischen Wettbewerb beitragen", drittens muss "der finanzielle Aufwand" dargelegt werden. "Entscheidend", erklärt der Medienpolitiker Beck, sei der "öffentlich-rechtliche Mehrwert".

Perfekter hätten ihren medienpolitischen Paternalismus auch die Politbürokraten nicht formulieren können, die über den Deutschlandsender der DDR zu wachen hatten. Welcher Journalist mag sich in den Dienst solch staatstragenden Unwesens stellen?

Experten der offiziell hocherfreuten Fernsehanstalten schütteln intern ratlos den Kopf. "Grober Unfug" ist das Urteil eines öffentlich-rechtlichen Justitiars: Seit sich die Politik und die "Dilettanten" aus den Staatskanzleien der Sache angenommen hätten, sei alles maßlos kompliziert geworden.

Endet so, was vom Bundesverfassungsgericht erfunden und in jahrzehntelanger Rechtsprechung immer bekräftigt wurde: die weltweit teuerste, aber einmalig freiheitliche deutsche Rundfunkordnung?

Tatsächlich ist diese Ordnung schon länger in Gefahr. Denn ARD, ZDF und Deutschlandradio, die öffentlich-rechtlichen Bastionen gegen die Privatfunker, befinden sich mit dem wachsenden Erfolg journalistischer Internet-Angebote in einer ebenso schnell wachsenden Legitimationskrise: Die Gefahren, zu deren Vermeidung die Alliierten 1948 den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach britischem BBC-Vorbild erfanden, bestehen nicht mehr. Spätestens seit Erfindung des Internets wird es nie wieder möglich sein, mittels der Macht über einen Fernsehsender Macht über die öffentliche Meinung zu gewinnen. Die verzweifelten Versuche von Diktaturen wie der chinesischen, das Internet zu kontrollieren, zeigen die Wucht der digitalen Pressefreiheit.

Als das Bundesverfassungsgericht das öffentlich-rechtliche Fernsehen in den Rang eines grundgesetzlich geschützten Instituts mit dem grundgesetzlich geschützten Recht auf Gebühren beförderte, stand eine weitere Gefahr im Vordergrund: die Gefahr der "suggestiven Wirkung" von bewegten Bildern, die ungleich größer sei als der Einfluss des gedruckten Wortes. Denn: Zum Gedruckten muss man sich bemühen, vom Fernsehen wird man berieselt. Dafür darf man sich beim Gedruckten aussuchen, was man liest. Beim Fernsehen geht das nicht.

Ein "Lean-Back-Medium", so heißt das heutzutage, sei die Glotze, etwas für Couch-Potatoes. Die mussten, so der Auftrag an das öffentliche Fernsehen, vor Verdummung wie vor Demagogie beschützt werden: Durch pluralistisch besetzte Gremien, die abgewogenes, wenn auch manchmal ein bisschen langweiliges Fernsehen garantieren sollten.

Die Wirklichkeit entwickelte sich schneller als die Verfassungsrechtsprechung. Statt Couch-Potatoes sind die neuen Medienkonsumenten User. Das sind aktive, mündige Kommunikationsteilnehmer, die kann gar niemand berieseln, weil sie sich selbst suchen, was sie brauchen.

Mit großer Sorge stellten die Rundfunkanstalten fest: Die 14- bis 19-Jährigen fehlen auf dem Sofa. Sie verbringen nur noch halb so viel Zeit vor dem Fernseher wie der Durchschnitt der Bundesbürger. Während der sich immerhin noch durchschnittlich dreieinhalb Stunden am Tag zurücklehnt und unterhalten lässt, konsumieren die Jungen längst am Laptop ihr eigenes Programm. Auf den Internet-Monitor guckt die junge Generation doppelt so lange wie der Durchschnitt.

Allein mehr als 600 Auftritte der deutschen Tageszeitungen gibt es im Netz, von den Millionen Unterhaltungsseiten, den Archiven internationaler Magazine, den Datenbänken und Wissensmaschinen ganz zu schweigen. So viel Vielfalt war nie.

Mit welchem Recht, so werden die Jungen daher fragen, kassiert die GEZ für Opas Radio pro Jahr über sieben Milliarden Euro an Rundfunkgebühren? Wer braucht das öffentlich-rechtliche Fernsehen noch?

Die Gebührenfrage wurde zuletzt zum Thema, als die Ministerpräsidenten 2004 von der geplanten Erhöhung der Fernsehgebühren 21 Cent abzwackten. Wofür braucht das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Zeitalter des Internets denn noch so viel Geld?

Das Bundesverfassungsgericht, an das sich die Anstalten hilfesuchend wandten, stellte seinem Lieblingskind eine weitgehende Blankovollmacht aus: Die Öffentlich-Rechtlichen hätten kraft Verfassung eine "Entwicklungsgarantie", zu der gehöre es auch, am Wettstreit der Medien im Internet teilzunehmen, entsprechend hoch müssten die Gebühren sein.

Das Urteil vom September war das letzte Rundfunk-Verdikt des Verfassungsrichters Wolfgang Hoffmann-Riem, der mittlerweile aus Altersgründen ausgeschieden ist. Dessen eisernes Festhalten an den überkommenen Lehren vom öffentlichrechtlichen Rundfunk hat den aktuellen Medienkrieg erst ermöglicht.

"Der Versuch, ARD und ZDF aus der technischen Entwicklung des Internets herauszuhalten", triumphierte noch im Karlsruher Gerichtssaal Kurt Beck, "ist endgültig gescheitert."

Zwar konnten auch scharfsinnige Juristen der Rundfunkanstalten die neue Rechtfertigungslogik für ihre Existenz nicht nachvollziehen. Erleichtert waren sie trotzdem: Ist das Internet eine Gefahr für die Meinungsbildung in der Gesellschaft - warum auch immer -, hatten die öffentlich- rechtlichen Anstalten eine neue Legitimation: überall dort als Supermänner der guten Meinungsbildung aufzutreten, wo es elektronisch zugeht.

Der Chefjustitiar des ZDF, Carl-Eugen Eberle, trieb diese Logik auf die Spitze: Die Öffentlich-Rechtlichen müssten schon deshalb im Internet eingreifen, verkündete er auf einem Expertentreffen, weil dort Inkompetenz herrsche: "Die Kompetenz der privaten Anbieter ist nicht die Information, sondern die Vermarktung von Werbung." Nur die Anstalten seien in der Lage, "unabhängige Informationen" zu bieten: Ein Affront für die gesamte Presse, die schon immer werbefinanziert war und dennoch alle größeren Affären der Republik aufgedeckt hat.

Mit dem Alleinvertretungsanspruch für seriöse Information kam das ZDF in der Politik gut an. "Inseln der Qualität", so freute sich der Kommissionsvorsitzende Beck, könnten ARD und ZDF im wüsten Netz schaffen.

Richtig Fahrt bekam die neue Rundfunkherrlichkeit durch die Brüsseler EU-Kommission. Bei den Wettbewerbshütern herrschte seit langem Unwillen über die quasistaatliche Finanzierung der Aktivitäten von ARD und ZDF. Nach Brüsseler Lesart ist das eine wettbewerbsverzerrende Beihilfe. Und für Medien sind solche Beihilfen nur erlaubt, wenn dafür eine entsprechend wertvolle öffentliche Aufgabe abgeleistet wird. Logik eines Kompromisses, der vor einem Jahr zwischen Brüssel und Berlin geschlossen wurde: Wenn die Anstalten Gebühren ins Internet investieren, dann müssen sie auch verpflichtet sein, dort einen genau beschriebenen öffentlichen Auftrag zu erfüllen.

Im neuen Staatsvertrag, so der Wunsch, den die Bundesregierung an die Länder weitergab, dürfen so den Anstalten die Internet-Auftritte nicht nur erlaubt werden - sie müssen richtige Pflichten bekommen. Zugleich muss ihnen durch die Landesgesetze genau vorgegeben und auch kontrolliert werden, welchen Auftrag zu welchen Zwecken sie im Netz ableisten müssen. So entstanden verquälte Regelungen wie der "Drei-Stufen-Test" unter staatlicher Aufsicht.

Der Wunsch zeugt von breiter Unkenntnis der komplizierten deutschen Rundfunkordnung: Natürlich dürfen nach dem Modell des Bundesverfassungsgerichts staatliche Gesetze den autonomen Fernsehmachern keine konkreten Aufträge geben, schon gar keine Ziele setzen. Wie die Anstalten ihren Generalauftrag zur Sicherung der Meinungsvielfalt verwirklichen, ist allein ihre Sache. Ein bisschen journalistische Freiheit muss es ja selbst im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben.

Nicht leicht für Becks Kommission. Fixieren die Medienpolitiker das künftige Auftreten der Anstalten zu genau, werden alle mühsam auf den Weg gebrachten 16 Rundfunklandesgesetze vom Verfassungsgericht wegen unzulässiger Bevormundung wieder aufgehoben. Räumen sie den Fernsehmachern aber den verfassungsrechtlich geforderten Freiraum ein, wird Brüssel, das ist schon angedroht, sein Verfahren wegen verbotener Beihilfe gegen die Bundesrepublik wieder aufnehmen.

Fast aussichtslos ist es da, am Donnerstag zu einer Einigung zu kommen, die in Brüssel wie in Karlsruhe hält. Beobachter der Beck-Kommission zweifeln schon am immerwährenden Terminkalender der Medienpolitik: Vielleicht gibt es ja im Jahr 2008 gar keinen neuen Knall. Sondern einfach nur großen Krach.