Die Zeit: Viele Menschen sind manchmal etwas sonderbar. Aber wann gilt man eigentlich als psychisch krank?

Jim van Os: Ich will Ihnen das am Beispiel des Blutdrucks erklären. Bei einigen Menschen ist der Wert niedrig, bei anderen höher. Internationale Gremien legen jetzt fest, wann man das Bluthochdruck nennt. Dann ist es offiziell eine behandelbare Erkrankung. Bei psychischen Erkrankungen ist es dasselbe.

Zeit: Meinen Sie, dass man nur mehr oder weniger psychisch krank ist?

van Os: Es mag überraschend klingen, aber bei Depressionen und Ängsten gibt es fließende Übergänge. Manche Menschen haben wenig Symptome, andere sehr heftige. Manche können ihre Situation mit Entspannungsübungen bewältigen oder mit der Hilfe von Freunden, andere leiden stark darunter, trinken viel Alkohol, gehen nicht mehr zur Arbeit und brauchen eine Therapie. Es ist also nicht wichtig, ob jemand eine Diagnose bekommen hat, sondern ob es einen Behandlungsbedarf gibt. Die anderen sollte man nicht Patienten nennen.