Zum Inhalt springen

Neuer Ärzteskandal Das gute Geschäft mit den toten Patienten

Mehrere Dutzend Ärzte haben nach Erkenntnissen einer Krankenkasse Behandlungen von toten Patienten abgerechnet. Allein in Niedersachsen soll es innerhalb von nur drei Monaten zu Betrügereien mit 140 "lebenden Toten" gekommen sein.

Hannover/Berlin - Die AOK Niedersachsen deckte die makabren Abrechnungsbetrügereien bei stichprobenartigen Prüfungen auf. Wie ein Sprecher heute bestätigte, stellte eine Reihe von Ärzten Behandlungen und Untersuchungen von Patienten in Rechnung, die schon seit Jahren auf dem Friedhof liegen. Bei einer Kontrolle für das vierte Quartal 2001 seien allein in Niedersachsen 140 Tote ermittelt worden, für die Ärzte abkassierten.

Klaus Altmann von der Landes-AOK sagte dem ARD-Magazin "Panorama": "Hochgerechnet auf das ganze Bundesgebiet kommt man spielend auf mehrere tausend Tote, mit denen Ärzte noch ein Geschäft machen." So habe ein Wilhelmshavener Allgemein- und Sportmediziner "Hausbesuche und die Erhebung des Ganzkörperstatus" bei einer 72-Jährigen abgerechnet, die zum Zeitpunkt der "Behandlung" bereits seit fünf Jahren im Grab gelegen habe.

Die Staatsanwaltschaft Oldenburg bestätigte den Bericht von "Panorama". Allein gegen den Arzt aus Wilhelmshaven werde wegen Betruges in 400 Fällen ermittelt. Unterlagen seien bereits im vergangenen Herbst sichergestellt worden. Demnach war im letzten Quartal 2002 rund ein Viertel der Behandlungen erfunden. Der Mediziner soll die Daten von insgesamt elf Toten illegal auf seinem Praxiscomputer gespeichert und für gefälschte Abrechnungen benutzt haben. Den Krankenkassen seien durch die Phantombehandlungen dieses Arztes und anderer Mediziner Schäden in Millionenhöhe entstanden, hieß es bei der AOK Niedersachsen.

Schmidt befürchtet Milliardenschäden durch Betrug

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt verwies auf eine Schätzung, wonach durch falsche Abrechnungen eine Milliarde Euro pro Jahr auf Arztkonten flössen. Sie mache sich diese Zahl zwar nicht ohne Weiteres zu eigen, erklärte Schmidt. "Aber wenn es nur die Hälfte ist, hieße das: 500 Millionen Euro würden fehlgeleitet."

Sie verlangte von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) nachdrücklich, Klarheit über Umfang und Erfahrungen mit Abrechnungsbetrug zu schaffen. Sie habe die KBV bereits am 23. Dezember zur Auskunft aufgefordert, aber bisher keine Antwort erhalten. Die jüngsten Vorwürfe, Ärzte hätten bei Toten abkassiert "müssen aus der Welt", erklärte sie. Sie schadeten der gesamten Ärzteschaft.

Die KBV solle ihre Erkenntnisse über Betrügereien vorlegen, damit nicht zuletzt die Patienten erführen, was mit ihren Beiträgen geschehe. Die Behauptung, durch Betrügereien würden nicht die Versicherten, sondern nur die Ärzte selber geschädigt, sei "albern und falsch".

Ärzteverband spricht von Rufmord

KBV-Hauptgeschäftsführer Rainer Hess erklärte in Berlin, er könne Schmidt erst dann eine Antwort liefern, wenn die Ergebnisse einer Anfrage bei den einzelnen Kassenärzte-Verbänden vorliegen. Gleichzeitig kritisierte er die AOK-Angaben scharf. Die Kassen würden sich selbst "als Bastion von Saubermännern" darstellen und versuchten, die Ärzte in den Augen der Bevölkerung zu verunglimpfen.

Die Hochrechnung der Fälle aus Niedersachsen sei unseriös und grenze an Rufmord. Man werde die AOK-Aussagen juristisch prüfen lassen. Weiter verwies Hess auf Zahlen des Bundeskriminalamts, wonach die gemeldeten Fälle von Abrechnungsbetrug drastisch zurückgegangen seien.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.