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Ulla Schmidt prophezeit die Bürgerversicherung

Die Gesundheitsministerin kündigt im Gespräch mit WELT ONLINE für Januar 2010 ein neues Honorarsystem mit Zuschlägen für Ärzte an, die sich auf dem Land niederlassen. Sie kann sich allerdings medizinische Versorgungszentren vorstellen, in denen an jedem Tag der Woche ein anderer Arzt arbeitet.

WELT ONLINE: Frau Schmidt, kein Gesundheitsminister in Deutschland hat länger im Amt ausgehalten als Sie. Ist Gesundheitsministerin Ihr Traumjob?

Ulla Schmidt: Nein, mein Traumjob war das nicht. Aber als er mir damals angeboten wurde, habe ich Ja gesagt. Herausforderungen muss man doch annehmen!

WELT ONLINE: Jetzt haben Sie Gefallen daran?

Schmidt: Ja, klar. Ich mache meine Arbeit gern, weil die Gesundheitsversorgung eine der wichtigsten Grundlagen für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt ist. Für uns Heutige ist es selbstverständlich, jederzeit zum Arzt gehen zu können. Das müssen wir für unsere Kinder erhalten.

WELT ONLINE: Und Sie machen weiter, wenn es wieder eine große Koalition gibt?

Schmidt: Ich kämpfe erst einmal um ein Mandat im Bundestag. Ich möchte wieder Abgeordnete werden. Ich will, dass die SPD stärkste parlamentarische Kraft wird und in die Regierung kommt. Und dass sie dann in der Gesundheitspolitik wieder ein Wort mitzureden hat. Das will ich nicht Schwarz-Gelb überlassen, das wäre der Weg in die Privatisierung.

WELT ONLINE: Eine ihrer unpopulärsten Entscheidungen war die Praxisgebühr….

Schmidt: (lacht) …ich wäre die Königin der Versicherten, wenn ich die wieder abschaffen würde!

WELT ONLINE: Also wollen Sie nicht an der Praxisgebühr rütteln?

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Schmidt: Sie bringt jedes Jahr 1,5 Milliarden Euro. Sie war ein Kompromiss, weil die CDU/CSU zehn Prozent Selbstbeteiligung bei jedem Arztbesuch wollte. Sie ist nicht beliebt, aber die Mehrheit der Versicherten hat sie akzeptiert.

WELT ONLINE: Die Deutschen rennen so häufig zum Arzt wie keine andere Nation.

Schmidt: Es stimmt, dass die Praxisgebühr mittlerweile nur eine geringe Lenkungswirkung hat. Aber sie ist eine Form der Zuzahlung und bringt eine Menge notwendiger Einnahmen. Die Alternative wäre gewesen, die Beiträge zu erhöhen – und damit die Arbeitskosten. Das wäre nicht gut gewesen.

WELT ONLINE: Wo wir beim Geld sind: Wie wird sich der Kassenbeitrag entwickeln?

Schmidt: Kein Mensch weiß heute genau, wie sich die Einnahmen des Gesundheitsfonds nächstes Jahr entwickeln, das hängt sehr stark von der tatsächlichen Konjunkturentwicklung ab. Wenn nächstes Jahr tatsächlich 450.000 Menschen mehr Arbeitslosengeld II bekommen würden, dann hätten die Krankenkassen viel weniger Geld. Auf der anderen Seite sind nächstes Jahr 1,5 Milliarden Euro mehr Steuergeld im Fonds, insgesamt 11,8 Milliarden Euro.

WELT ONLINE: Die Regierung hat den Kassenbeitrag mit Steuergeld auf 14,9 Prozent gesenkt, um die Konjunktur anzukurbeln. Bleibt es bei diesem Konjunkturzuschuss, auch wenn die Wirtschaft wieder rund läuft?

Schmidt: Natürlich. Er steht im Gesetz. Solange man die Beiträge um 0,6 Prozent senken will, müssen diese 6,3 Mrd. Euro bezahlt werden, in den nächsten Jahren ist jeweils eine Erhöhung um 1,5 Mrd. vorgesehen.

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WELT ONLINE: Die Kassen sagen, Ende des Jahres kommt eine Welle von Zusatzbeiträgen. Ist das so?

Schmidt: Das haben sie im Winter bereits für Mitte 2009 vorhergesagt. Ich höre bisher nur von einer kleinen Kasse, die darüber berät. Eine Kasse, die merkt, dass sie einen Zusatzbeitrag erheben muss, weil sie mit dem Geld aus dem Fonds nicht auskommt, stellt sich selber ein schlechtes Zeugnis aus. Sie sollte besser mit anderen fusionieren. Früher konnten die Kassen den Beitragssatz anheben, und kaum ein Versicherter hat es direkt gemerkt. Jetzt übt der Fonds einen heilsamen Zwang aus, mit dem Geld ordentlich zu wirtschaften.

WELT ONLINE: Die Kassen haben also genug Geld?

Schmidt: Zurzeit ist das Gesundheitswesen über Beiträge und Steuern gut finanziert. Die Kassen erzählen seit Jahren, dass sie zu wenig Geld hätten! Die Wahrheit ist: im letzten Jahr hatten sie einen Überschuss von 1,4 Mrd. Euro, im ersten Vierteljahr 2009 über eine Mrd. Euro. Es kommt kein Vorschlag von den Verbänden der Kassen, wie man das Gesundheitswesen so organisieren könnte, dass das Geld reicht. Der Spitzenverband der GKV müsste doch die Gesetzliche Krankenversicherung als hohes Gut des Sozialstaates in unserem Land verteidigen, aber er redet sie schlecht. Ein Manager eines Kaufhauses würde dagegen immer sagen: Wir bieten gute Qualität zum günstigen Preis. Dabei gibt es auch gute Beispiele einzelner Kassen: die AOK hat z.B. Rabattverträge für Medikamente gemacht, bei denen sie pro Jahr eine halbe Milliarde Euro spart. Das sollte doch auch im Gesamtsystem möglich sein.

WELT ONLINE: Trotzdem kommt doch nach der Wahl ein Gesundheits-Sparpaket. Die Pharmabranche stellt sich schon darauf ein.

Schmidt: Die Pharmazeutische Industrie hat es in der Hand, faire Preise festzulegen. Sie hat die Wahl konstruktiv mitzuarbeiten bei der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln mit anschließender Preisfestsetzung, und sie kann freiwillig mehr Rabatte anbieten im Bereich der patentgeschützten Arzneimittel. Ansonsten wird der Gesetzgeber Sparpakete schnüren müssen, um das Gesundheitssystem bezahlbar zu halten. Das ist aber der schlechtere Weg gegenüber einem fairen Preissystem. Auch im ersten Quartal sind die Arzneimittelausgaben um fast sechs Prozent gestiegen, das ist zwar keine Explosion, aber es ist zu viel.

WELT ONLINE: Werden die Leistungen der Krankenkassen nach der Wahl gekürzt?

Schmidt: Wir haben die Leistungen, da wo es notwendig ist, ausgeweitet, z.B. in der Palliativversorgung oder bei der Rehabilitation auch für alte Menschen. Mit uns Sozialdemokraten gibt es keine Leistungskürzungen, was eine schwarz-gelbe Koalition machen würde, weiß ich nicht. Auch bei den Zuzahlungen sehe ich derzeit keinen Grund für eine Erhöhung.

WELT ONLINE: Was halten Sie davon, dass die AOK im Internet Ärzte von ihren Patienten bewerten lassen will?

Schmidt: Mehr Transparenz ist grundsätzlich sicher gut, aber die Bewertung muss nach objektiven Kriterien stattfinden. Nur dann ist sie sinnvoll. Ich bin dafür, dass sich die Ärzte regelmäßig überprüfen lassen. Wir stellen ja auch die Qualität von Krankenhäusern und Pflegeheimen fest. Bei einer Bewertung von Ärzten muss es um die medizinische Qualität gehen, aber auch der Service kann eine Rolle spielen, etwa die Terminvergabe. Die Ärzte selbst müssten eigentlich ein Interesse daran haben.

WELT ONLINE: Auf dem Land fehlen viele Ärzte. Wie kann man das beheben?

Schmidt: Ab Januar 2010 gibt es auch im Honorarsystem Zuschläge für Ärzte, die sich in unterversorgten Regionen niederlassen. Eine Möglichkeit wären auch medizinische Versorgungszentren mit angegliederten Praxen in abgelegenen Dörfern. Das könnte so laufen: An jedem Tag der Woche kommt ein anderer Arzt, am Montag der Internist, Dienstag der Augenarzt und Donnerstag der Orthopäde. Ich plädiere auch seit langem für Stipendien für Medizinstudenten mit der Befreiung von Studiengebühren. Im Gegenzug sollten sich diese Studenten dann verpflichten, fünf Jahre dahin zu gehen, wo sie am nötigsten gebraucht werden – notfalls als angestellter Arzt in einer Praxis. Ich sage ihnen: 80 Prozent der jungen Ärzte werden dort bleiben. Sie haben eine schöne Praxis, stellen fest, wie nett die Leute vor Ort sind und wer weiß – vielleicht verlieben sie sich auch und gründen eine Familie.

WELT ONLINE: Wie lange wird es noch private Krankenversicherungen geben?

Schmidt: Das müssen Sie die Versicherungswirtschaft fragen. Die private Krankenversicherung wird die gleichen Probleme wie die gesetzliche Krankenversicherung bekommen. Die Zeiten, als sie sich auf die jungen, gesunden Gutverdiener konzentrieren konnten, sind vorbei. Auch die Versicherten in der Privatversicherung werden immer älter und damit werden auch mehr chronisch krank. Die privaten Kassen nutzen bislang keine Steuerungsmöglichkeiten zur Kostenbegrenzung. Sie müssen alles zahlen, was im Versicherungsvertrag steht. Die Kosten steigen doppelt so schnell wie in der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Druck für die Privaten, dass man zu gemeinsamen Regelungen im Gesundheitswesen kommt, wird damit immer größer. Die Bürgerversicherung wird kommen. Das ist nur eine Frage der Zeit.

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