Zum Inhalt springen
Zur Ausgabe
Artikel 19 / 127

Affären Oben schweben

Staatssekretär Vöcking ging in einstweiligen Ruhestand - wollte er Indiskretionen über Engholms Privatleben verbreiten?
aus DER SPIEGEL 25/1993

Helmut Kohl tat einen schweren Gang. Ob Peter Struck mal einen Augenblick Zeit für ihn habe, bat der CDU-Kanzler den Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Opposition zum Zwiegespräch.

Die beiden setzten sich während der Bundestagsdebatte am vergangenen Mittwoch in eine der hinteren Reihen des Parlaments. Kohl druckste erst herum, es war ihm alles sichtlich peinlich, dann rückte er mit der Sprache heraus.

Ließe sich »die Angelegenheit« nicht geräuschlos beilegen? Könnte sich die SPD damit zufriedengeben, wenn er seinen früheren Abteilungsleiter Johannes Vöcking, jetzt Staatssekretär im Bundesinnenministerium, für ein paar Wochen beurlaube? Bis Gras über das Ganze gewachsen sei?

Sozialdemokrat Struck lehnte ab, Vöcking sei nicht zu halten. »Wir werden keine Ruhe geben.«

Die Lage war ernst. Sonst hätte sich einer wie Kohl nicht zu diesem Bittgang bequemt und eine Abfuhr riskiert.

Kohl-Mann Vöcking gab am vergangenen Donnerstag in Geheimsitzungen des Bundestagsinnenausschusses und der Parlamentarischen Kontrollkommission zur Überwachung der deutschen Geheimdienste zu, was vom SPIEGEL (24/1993) aufgedeckt und vom Kanzleramt bis zuletzt geleugnet worden war: Der Abteilungsleiter in der Regierungszentrale hatte versucht, wie einst Uwe Barschel, den Sozialdemokraten Björn Engholm mit gezielten Indiskretionen ins Zwielicht zu rücken.

Nur kurze Zeit nach Engholms Kür zum SPD-Kanzlerkandidaten und noch vor der schleswig-holsteinischen Landtagswahl im Frühjahr 1992 übergab Vöcking, so berichtete er nun den Ausschüssen, der Bonner Korrespondentin einer Springer-Zeitung ein Geheimdienstpapier mit Hinweisen auf einen angeblichen polnischen Spion, Deckname »Juras«, in der Umgebung des SPD-Chefs.

Kohl war auf das höchste alarmiert.

Nach den SPIEGEL-Enthüllungen über Vöckings Treiben sei der Kanzler, so einer seiner engen Mitarbeiter, »nicht nur unter die Decke gegangen, der schwebte regelrecht dort oben«.

Kohls Zorn war um so verständlicher, als Vöcking bei amtsinternen Befragungen in der vorvergangenen Woche angegeben hatte, er habe »im Auftrag« gehandelt. Das durfte der Kanzler nicht auf sich beruhen lassen.

Im heraufziehenden Superwahljahr 1994 möchte er sich den Deutschen als Saubermann zeigen. Mögen die anderen ihre Amigo-, Rotlicht- oder Schubladenaffären haben, er will der Mann ohne Skandale sein, dem das politikverdrossene Volk weiter vertrauen darf.

Und nun verfolgt auch noch der Staatsanwalt Kohls Spitzenbeamten wegen des Verdachts, Dienstgeheimnisse verletzt zu haben.

In den Ausschuß-Vernehmungen beteuerte Vöcking später denn auch brav, entgegen seinen internen Einlassungen, er habe auf eigene Faust gehandelt, mit niemandem über die Aktenübergabe an die Journalistin geredet, vorher nicht und hinterher auch nicht. Die Liste mit den Suchkriterien für den Spion »Juras« habe er von einem ausländischen Verbindungsmann erhalten (das Papier kam von der CIA) und dann der Journalistin bei einem Treff in den Bonner Rheinauen gegeben.

Zerknirscht und deutlich bemüht, den ehrenwerten Dilettanten hervorzukehren, gab Vöcking in der Parlamentarischen Kontrollkommission zum besten, er sei »so verzweifelt« gewesen, daß ein solch hochkarätiger Spion nicht zu packen sei. Da habe er versucht, »eigene Wege« zu gehen.

Dumm nur, daß die Journalistin nichts schrieb, sondern die SPD informierte. Warum aber habe er, Vöcking, nichts mehr unternommen, fragten folgerichtig die Abgeordneten, als eine Veröffentlichung über »Juras« ausblieb?

Was tun mit einem solchen vorgeblichen oder tatsächlichen Naivling, der als Staatssekretär des Bundesinnenministeriums für das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig ist?

Feuert Kohl den Staatssekretär auf Druck der Opposition, dann kommt das einem Schuldeingeständnis gleich. Hält Kohl aber zu Vöcking, besteht die Gefahr, daß die Affäre durch neue Erkenntnisse immer wieder aufflackert und den Kanzler beschädigt.

Das Verhalten Vöckings sei, so Friedrich Bohl, der Chef des Bundeskanzleramtes, am letzten Freitag, »zu mißbilligen«.

Vöcking wurde zwar in den einstweiligen Ruhestand versetzt, aber nur für die Dauer des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens. Nach Abschluß des Verfahrens will Kohl über Wiedereinstellung entscheiden.

Ob das Gras dann hoch genug ist?

Bei seinen internen Befragungen hatte Vöcking wiederholt versichert, er habe neben dem »Juras«-Material keine Schmuddelakten über Engholm weitergereicht. Vielleicht genügte schon die »Juras«-Akte für derlei Zwecke.

Die Suche nach »Juras« mußte zwangsläufig geradewegs in Björn Engholms Privatleben führen. Die von Vöcking weitergegebenen Suchkriterien paßten auf niemanden aus dem beruflichen Umkreis des SPD-Spitzenmannes. Wohl aber führte die Spur in seinen Freundeskreis.

Einer dieser Freunde aus alten Tagen steht Engholm nahe, seit sich die beiden in den sechziger Jahren in einem Lübecker Jazz-Lokal kennenlernten. Um die Weihnachtszeit jettete er mit Engholm und Freunden in die weite Welt, nach Marokko, Namibia oder Ceylon.

Georg Lessnau ist ein deutschstämmiger Pole, der seit 1959 in der Bundesrepublik lebt. Von den Suchkriterien stimme, so Lessnau, »einiges, anderes nicht. Ich weiß nicht, ob ich gemeint bin. Aber ein Spion bin ich ganz sicher nicht«.

In dem CIA-Dossier heißt es, »Fallname ist ein Kosename oder Spitzname von ,Georg'«. Lessnau heißt mit Vornamen Georg, und »Juras« ähnelt sehr jenem »Jurek«, wie Lessnau von Freunden gerufen wird. Ebenso trifft die Geheimdienstinformation zu, daß »ihr persönliches Verhältnis entstand, bevor Engholm diese Position innehatte« (die des Fraktionsvorsitzenden in Kiel). »Juras« solle mit Engholm »ungefähr gleichaltrig« sein. Lessnau ist 52, der SPD-Politiker 53 Jahre alt.

Ein anderer Tipgeber, dieses Mal aus der deutschen Abwehr, hatte berichtet, »Juras« sei wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer westdeutschen Hochschule. Lessnau promovierte in Soziologie und lehrt heute als Professor an einer Fachhochschule.

Ist Lessnau mit »Juras« identisch? Nach den CIA-Informationen soll seine Frau »aus Polen oder früheren polnischen Regionen« stammen. Lessnaus Frau aber stammt aus Brandenburg.

»Engholm wird fast immer von ,Juras' begleitet, wenn er Reisen nach Polen oder in Osteuropa macht«, heißt es in dem Dossier. Lessnau begleitete seinen Freund Björn nur einmal, als der auf Einladung des Volkshochschulverbandes nach Warschau reiste. Ein weiteres Mal traf Lessnau den SPD-Mann dort.

»Private und polit-soziologische Gespräche«, so Lessnau zum SPIEGEL, habe er mit Engholm geführt. »Ein Berater war ich für ihn nie.« Auf den Polen-Reisen habe er allenfalls »ein bißchen gedolmetscht«. Als er vorvergangene Woche Engholm traf, fragte er dennoch: »Meinen die mich?«

Engholm waren die Parallelen zwischen dem Dossier und seinem Freund durchaus aufgefallen. Aber nach einem peniblen Vergleich der »Suchkriterien« und der Vita seines Freundes Lessnau entschied er sich, den Namen nicht an die Ermittlungsbehörden weiterzugeben. Denn es hätten »nur sehr wenige Angaben« gepaßt und Lessnau habe ja »null Zugang zu dienstlichen Dingen« gehabt.

Engholm glaubte ohnehin nicht, daß es den Agenten »Juras« wirklich gibt. Sein Verdacht: »Viele Schmierfinger in Bonn und anderswo rühren in meinem Leben.«

Zur Ausgabe
Artikel 19 / 127

Mehr lesen über