Rein technisch ist die Schuldfrage klar. Dass die Krankenkassen demnächst auf breiter Front von ihren Mitgliedern Zusatzbeiträge verlangen dürfen, haben ihnen Union und SPD gemeinsam erlaubt. Die Oppositionspartei müht sich nun jedoch, den Makel loszuwerden. Dass es jetzt auch bei großen Kassen zu Zusatzbeiträgen komme, sei "der Untätigkeit von Bundesgesundheitsminister Rösler zu verdanken", behauptet SPD-Fraktionsvize Elke Ferner. Und dass es bei diesen Beiträgen weder paritätische Finanzierung noch Sozialausgleich gebe, hätten "nicht Ulla Schmidt und die SPD zu verantworten, sondern CDU und CSU".

Auch der Umstand, dass Geringverdiener bei den zu erwartenden Zusatzbeiträgen von monatlich acht Euro proportional gesehen am meisten belastet werden, sei der Union und ihrer Kanzlerin zuzuschreiben, betonte Ferner. Was richtig ist. Den Sozialdemokraten hatte damals gar nicht gefallen, dass Einkommensprüfungen und die Begrenzung auf ein Prozent des Haushaltseinkommens nur bei höheren Kassenforderungen vorgeschrieben sind. Zugestimmt hatten sie aber doch.

Daran erinnert nun auch die Unionsfraktion. Man habe die Zusatzbeiträge gemeinsam beschlossen, sagte ihr gesundheitspolitischer Sprecher Jens Spahn dem Berliner Tagesspiegel. "Es zeugt von schlechtem politischen Stil, sich jetzt so vom Acker zu machen."

FDP-Minister Philipp Rösler verfolgt unterdessen noch eine andere Strategie: Er benutzt das Erbe der Zusatzbeiträge, die er gerne auch als "unfair" bezeichnet, zur Rechtfertigung für seine weit rigoroseren Umbaupläne. Dass Menschen mit geringem Einkommen die Zusatzbeiträge am stärksten zu spüren bekämen, liege daran, dass sie keinen Sozialausgleich enthielten, betonte Rösler im Bundestag. Seine einkommensunabhängigen Kopfpauschale dagegen sähen genau dies vor.

Die Behauptung, Kopfprämien mit Sozialausgleich seien gerechter als einkommensabhängige Beiträge, sei "irrwitzig", kontert Ferner. Damit versuche Rösler, die Menschen für dumm zu verkaufen. Nach dem FDP-Modell müssten viele Versicherte mehr bezahlen oder wären auf Transferleistungen angewiesen. Die Spitzenverdiener dagegen würden entlastet. Außerdem seien die Schonung der Pharmaindustrie und die versprochenen Wohltaten für die Leistungsbringer schuld daran, dass die Ausgaben immer schneller wüchsen und die Versicherten nun die Zeche zu zahlen hätten.

Zur Finanzierung einer Kopfprämie mit Sozialausgleich erwägt das Finanzministerium offenbar eine Art Solidaritätszuschlag. Dies berichtete der Spiegel am Samstag. Demnach werde die von der FDP geforderte einheitliche Gesundheitsprämie nur dann für umsetzbar gehalten, wenn der Sozialausgleich über Steuereinnahmen finanziert werde. Um das Geld aufzutreiben, sei ein zweckbegründeter Zuschlag etwa auf die Einkommens- und die Körperschaftsteuer erforderlich, also eine Art Gesundheits-Soli.

Nach Tagesspiegel-Informationen werden in Kürze von jedem fünften der rund 51 Millionen gesetzlich Krankenversicherten Zusatzbeiträge verlangt. Die Betroffenen können ihrer Kasse dann zwar kündigen, müssen aber damit rechnen, dass ihnen anderswo dasselbe blüht. Auf alle Kassen hochgerechnet seien im Schnitt monatlich 6,50 Euro pro Mitglied nötig, sagte der Chef des Ersatzkassenverbands VdEK, Thomas Ballast. "Zusatzbeiträge werden deshalb keine Einzelfälle sein, sondern über kurz oder lang die meisten Kassen treffen". Laut Bild-Zeitung werden sie bis zum Sommer von rund 30 Kassen erhoben.

(Erschienen im Tagesspiegel)