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Bezahlen bei jedem Arztbesuch Röslers Prinzip "Vorkasse" sorgt für Empörung

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler will, dass Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen eine Behandlung beim Arzt selbst bezahlen und sich die Kosten später erstatten lassen. Die Opposition ist empört - aber auch in der Union grummelt es.
Gesundheitsminister Rösler: Schmerzhafte Kur für den Patienten Deutschland

Gesundheitsminister Rösler: Schmerzhafte Kur für den Patienten Deutschland

Foto: Rainer Jensen/ dpa

Berlin - Der Patient erscheint in der Praxis, der Arzt behandelt, die Krankenkasse zahlt. So einfach, so unbürokratisch dürfte es bald nicht mehr sein. Der Besuch bei den Männern und Frauen in Weiß könnte bald mit einem Griff in die Geldbörse enden. Der Patient legt die Scheine auf die Theke oder überweist per EC-Karte das Geld an den Arzt - und erst Wochen später wird der vorgeschossene Betrag von der Kasse beglichen.

Das ist übliche Praxis für Privatpatienten. Bald aber könnte es so auch verstärkt Versicherten in der gesetzlichen Krankenkasse ergehen.

Philipp Rösler

Denn das Prinzip der Vorkasse, das sich dahinter versteckt, will Bundesgesundheitsminister künftig ausweiten. Ein entsprechender Vorschlag soll in das laufende Gesetzesverfahren zur laufenden Gesundheitsreform mit eingebaut werden.

Die Möglichkeit, bei der gesetzlichen Krankenversicherung einen Tarif mit Vorkasse zu wählen, gibt es bereits seit 2004. Doch nur 0,2 Prozent der gesetzlich Versicherten nutzten sie.

Eines der Ziele von Röslers Operation: mehr Flexibilität, mehr Transparenz. Patienten sollen wissen, was die Leistungen kosten. Dahinter steckt - unausgesprochen - auch der Versuch, die Zahl der Arztbesuche in Deutschland zu reduzieren. Sie steigt nämlich seit Jahren - im Jahr 2004 lag der Schnitt nach einer Untersuchung der Barmer GEK noch bei 16, derzeit schon bei 18 Arztbesuchen im Jahr. Und er dürfte weiter steigen - schließlich wird die Bevölkerung immer älter. Zum Vergleich: In den USA wurden 2006 nur 3,8 Arztbesuche pro Kopf und Jahr registriert.

Doch kann die Vorkasse an der steigenden Zahl der Arztbesuche etwas ändern? Kritiker befürchten, ältere und sozial schwache Menschen würden künftig abgeschreckt, überhaupt zum Arzt zu gehen. "Das Sachleistungsprinzip ist ein Eckpfeiler der sozialen Krankenversicherung. Wenn kranke Menschen zum Arzt gehen, dann sollen sie sich nicht erst fragen müssen, ob ihr Geld reicht, um in Vorkasse gehen zu können", so Florian Lanz vom Spitzenverband "Bund der Krankenkassen".

Unmut in der Koalition

Andere stützen hingegen die Pläne Röslers. "Wer schwarz auf weiß sieht, was die Behandlung kostet, geht wahrscheinlich bewusster damit um. Man überlegt sich: Ist jeder Arztbesuch sinnhaft?", heißt es bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Für Ärzte dürfte die Vorkasse durchaus reizvoll sein: Schließlich können sie an Ort und Stelle kassieren - statt mühsam die Kosten mit den Krankenkassen abzurechnen.

Doch Röslers Plan löst selbst in den eigenen schwarz-gelben Reihen Kontroversen aus. Zwar wurde die Ausweitung der Kostenerstattung im Koalitionsvertrag zwischen FDP und Union vereinbart. Aber der CSU-Gesundheitsexperte Max Straubinger sagt: "Sein Vorschlag kam schon überraschend. Wir haben doch Bausteine genug in der Gesundheitspolitik, die vordringlicher abgearbeitet werden sollten. Muss das jetzt auch noch sein?"

privaten Krankenkasse

Aber es ist nicht nur der Zeitpunkt, der Straubinger stört. Er glaubt - im Gegensatz zu anderen Kollegen der Union - nicht an den Erfolg der Vorkasse. Im Gegenteil. Er sieht sogar die Gefahr, dass damit die Kostenexplosion im Gesundheitswesen erst recht angeheizt wird. "Ich will nichts unterstellen, aber im Bereich der sehen wir seit geraumer Zeit eine Ausweitung der Kosten. Möglicherweise bieten Ärzten ihrem Privatpatienten weit über den medizinischen Bedarf hinaus Untersuchungen an, die eigentlich nicht notwendig sind", so der CSU-Mann. Ähnliches befürchtet er, wenn die Vorkasse verstärkt in den gesetzlichen Kassen angewandt wird.

Die schwarz-gelbe Koalition spricht davon, die Opposition versuche in Sachen Vorkasse, "jedes Verhetzungspotential zu nutzen", so der CDU-Gesundheitspolitiker Rudolf Henke. "Eine obligate, pflichtweise Einführung der Vorkasse werden wir nicht anstreben", versichert er. Das aber hatte auch Minister Rösler betont: Ob jemand die Vorkasse wähle, solle auch künftig jedem freigestellt sein.

Karl Lauterbach

Alles also künstliche Aufregung? Nein, glauben die Kritiker. Wenn einmal die Vorkasse stärker propagiert wird, dürfte sich auch stillschweigend das Verhalten der Ärzte ändern. Im Bundestag erregte sich am Donnerstag während der Gesundheitsdebatte der SPD-Gesundheitspolitiker : "Sie müssen demnächst in Vorkasse gehen, wenn sie einen schnellen Termin haben wollen."