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Sicherheit auf Bahnhöfen Polizei testet biometrische Überwachung

Bei der Videoüberwachung öffentlicher Plätze könnte in Zukunft Biometrietechnik zum Einsatz kommen. Kameras und Software sollen dabei helfen, potenzielle Terroristen aus Menschenmengen herausfiltern. Erste Tests beginnen auf dem Mainzer Hauptbahnhof.
Von Jens Todt

Mainz - "Das Forschungsprojekt ist in dieser Art europaweit einmalig", sagt Birgit Vetter, Sprecherin des Bundeskriminalamtes (BKA). Im Auftrag des Bundesinnenministeriums werden ab Oktober sechs Kameras vier Monate lang die Menschen auf einer Rolltreppe und einem Teil der Steintreppe in der Eingangshalle des Mainzer Hauptbahnhofes filmen. Die Kameras und Programme dreier Anbieter, die in der Studie miteinander konkurrieren, sollen aus der Bilderflut 200 Freiwillige herausfiltern, deren Gesichter zuvor fotografiert und in die Systeme eingespeist worden sind.

"Es wird allerdings nur ein mit Schildern gekennzeichneter Bereich erfasst", so Vetter, "jeder Reisende hat die Möglichkeit, den Kameras auszuweichen, wenn er das möchte." Welche Treppe genau gefilmt wird, darüber informiert das BKA ab 4. September an einem Informationsstand am Bahnhof sowie ab Projektstart auf seiner Internetseite. Der Mainzer Bahnhof sei deshalb als Ort für die Studie ausgewählt worden, "weil dort optimale Lichtverhältnisse herrschen." Die BKA-Aktion sei bereits seit Monaten geplant gewesen und keine Reaktion auf die geplanten Anschläge auf zwei Regionalzüge Ende Juli.

Die Gesichtserkennungsprogramme erfassen bestimmte Merkmale der Teilnehmer, die lebenslang relativ konstant bleiben, wie die Position der oberen Ränder der Augenhöhlen oder bestimmte Bereiche der Kieferknochen und des Mundes. Polizeibekannte Straftäter, etwa auch Hooligans auf dem Weg in ein Fußballstadion, könnten auf diese Weise frühzeitig identifiziert werden - zumindest in der Theorie.

In der Praxis gilt die Technik zur Erkennung biometrischer Daten bis heute als recht unzuverlässig, die zu verarbeitenden Datenmengen einer sich bewegenden Menschenmenge sind riesig, zudem erschweren diffuse und wechselnde Lichtverhältnisse die Analyse.

Die gescheiterten Anschläge auf zwei Regionalzüge in Koblenz und Dortmund Ende Juli haben die Debatte um verschärfte Videoüberwachung auf Bahnhöfen und anderen öffentlichen Plätzen wieder belebt. Die Identifizierung der mutmaßlichen Kofferbomber war möglich, weil Videoaufnahmen von mehreren Bahnhöfen vorhanden waren und diese in mühseliger Kleinarbeit von vielen Beamten gesichtet wurden. Eine funktionierende Videoüberwachung auf biometrischer Basis würde jedoch erstmalig dazu führen, dass die Technik aktiv in die Fahndung eingreift, also selbständig potenzielle Täter erkennt.

Doch der Nutzen der neuen Technik ist bislang nicht erwiesen. Zwar hat die Veröffentlichung der Aufnahmen vom Kölner Hauptbahnhof entscheidend zu dem schnellen Fahndungserfolg beigetragen, verhindert hat die Überwachung die geplanten Anschläge jedoch nicht. Es waren handwerkliche Fehler beim Bau der Bomben, die dazu führten, dass die Bomben nicht detonierten.

Die beiden Verdächtigen hatten sich völlig unauffällig verhalten, bevor sie zwei Koffer mit zündfähigen Bomben in den Zügen deponierten. Zudem ist keiner von ihnen in den Datenbanken der Polizei gespeichert, selbst ein funktionierendes biometrisches Überwachungssystem hätte also keinen Alarm ausgelöst. Dennoch hilft die schnelle Identifizierung der mutmaßlichen Täter jetzt dabei, mögliche Unterstützer oder Netzwerke zu ermitteln - wenn es sie denn gibt.

Die Anschläge auf einen Regionalzug in Madrid 2004 und die Attentate auf drei U-Bahnen und einen Bus in London 2005 haben gezeigt, dass Terroristen nicht zwingend ein großes Netzwerk benötigen, um verheerende Anschläge zu planen und durchzuführen.

In die westliche Gesellschaft integrierte Einzeltäter oder autonome Kleingruppen sind vielleicht ideologisch an größere Netzwerke gebunden, nicht jedoch zwingend in logistischer Hinsicht. Wenn sie der Polizei bisher unbekannt und darüber hinaus bereit sind, ihr Leben bei einem Anschlag zu riskieren, sinken die Chancen der Ermittler, Anschläge zu verhindern, dramatisch. Unauffällig lebende Selbstmordattentäter sind durch Technik kaum zu identifizieren.

Flächendeckende und technisch ausgereifte Videoüberwachung hätte selbst bei ausgereifter Biometrie-Technik in diesem Fall nur einen einzigen Vorteil: Man wüsste nachträglich, wie das Gesicht desjenigen aussieht, der Dutzende unschuldige Reisende mit in den Tod genommen hat.

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