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Krankenkassen werfen Ärzten Gewinnstreben vor

So steigen die Ausgaben der Krankenkassen So steigen die Ausgaben der Krankenkassen
So steigen die Ausgaben der Krankenkassen
Quelle: Infografik WELT ONLINE
Die Chefin des Krankenkassenverbands Doris Pfeiffer fordert den Gesundheitsminister auf, überschüssiges Geld im Gesundheitsfonds zurückzugegeben.

Welt Online: Frau Pfeiffer, wie schlecht ist die medizinische Versorgung in Deutschland?

Doris Pfeiffer: Unsere medizinische Versorgung ist grundsätzlich gut, international sogar eine der besten.

Welt Online: Der Gesundheitsminister sagt, die Versorgung müsse besser werden und plant ein Gesetz – ist das nötig?

Pfeiffer: Wir haben zu viele Ärzte mit eigener Praxis, es gibt zu viele Krankenhausbetten, und die Zusammenarbeit zwischen Praxen und Krankenhäusern sollte besser sein. Es werden auch noch immer Medikamente und Verfahren eingeführt, deren Zusatznutzen nicht belegt ist. Es gibt viel zu tun.

Welt Online: Bleiben wir bei den Ärzten. Der Gesundheitsminister sagt, es müsse noch mehr Ärzte geben. Irrt er da?

Pfeiffer: Fakt ist: Wir haben so viele Ärzte wie nie. Es gibt rund 45.000 niedergelassene Ärzte mehr als noch vor 20 Jahren. Es gibt aber ein Verteilungsproblem. Daran wird sich in den nächsten Jahren wenig ändern. Ich versuche den Minister davon zu überzeugen, dass man die Unterversorgung, die er beklagt, nur beseitigen kann, wenn man die Überversorgung abbaut.

Welt Online: Und wie soll das gehen?

Pfeiffer: Bis jetzt kann jeder Arzt die Lizenz, mit Krankenkassen abzurechnen, am Ende seines Berufslebens verkaufen. Es wäre besser, wenn die Zulassung als Kassenarzt nur noch auf Lebenszeit vergeben würde. Sie würde automatisch erlöschen, wenn ein Arzt sich zur Ruhe setzt. Die Zulassung auf Zeit wäre ein wichtiger Schritt, um die zu hohe Zahl der Ärzte in den Städten zu senken.

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Welt Online: Die Ärzte werden protestieren. So eine Zulassung ist bares Geld wert.

Pfeiffer: Es geht nicht darum, jemanden zu enteignen. Der Verkauf der Zulassung ist Teil der Lebensplanung vieler heute berufstätiger Ärzte. Der Übergang auf die nächste Ärztegeneration muss also langfristig gestaltet werden. Aber: Wir müssen verhindern, dass sich immer wieder neue Ärzte in überversorgten Gebieten niederlassen.

Welt Online: Bleibt die Unterversorgung auf dem Land. Die Gesundheitspolitiker der Koalition und die Bundesländer wollen für die Planung der medizinischen Versorgung kleinere Gebiete als bisher betrachten. Hilft das?

Pfeiffer: Wir müssen nachschauen, wie viele Hausärzte man in einem Landkreis braucht, wie viele Fachärzte und wie viele Spezialisten. Wir müssen die so genannten Planungsbezirke also je nach Arztgruppe betrachten. Die Planungsbezirke müssen nicht kleiner werden. Dass die Bundesländer bei der Planung mitreden wollen, halte ich nicht für hilfreich. Die Krankenhausplanung ist heute schon Aufgabe der Länder, und die Ergebnisse sind nicht überzeugend.

Welt Online: Was kostet diese bessere Versorgung?

Pfeiffer: Wenn man meint, es gebe zu wenige Ärzte und man müsse ihre Zahl mit zusätzlichem Geld erhöhen, dann wird es teurer. Ich hoffe, dass der Gesundheitsminister sich das noch gut überlegt. Die Ärzte haben in den vergangenen Jahren genug zusätzliches Geld bekommen.

Welt Online: Haben Sie den Eindruck, der Minister macht eine Politik für Ärzte oder für Versicherte?

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Pfeiffer: Er hat jedenfalls Dinge durchgesetzt, die man einem FDP-Minister nicht zugetraut hätte. Ich denke an das Arzneimittelgesetz, wonach jetzt Zusatznutzen von Medikamenten überprüft wird. Auf diesem Weg könnte er weitergehen. Ich wünsche mir, dass auch die Innovationen im Krankenhausbereich auf Zusatznutzen und Kosten überprüft werden. Außerdem sollte es im Krankenhausbereich mehr Wettbewerb geben. Krankenkassen sollten mit ausgewählten Kliniken besondere Verträge über die Behandlung ihrer Versicherten schließen können.

Welt Online: Die Gesundheitspolitiker von CDU und CSU wollen durchsetzen, dass Versicherte nicht länger als vier Wochen auf einen Termin beim Facharzt warten müssen. Eine gute Idee?

Pfeiffer: So ein Rechtsanspruch klingt gut, aber man müsste ihn auch kontrollieren. Ich halte von solchen Kontrollen nichts. Es gibt Kassen, die für ihre Versicherten schnell Arzttermine organisieren, das ist der bessere Weg. Und die Ärzte müssen endlich begreifen, dass 90 Prozent der Menschen gesetzlich versichert sind. Ohne Kassenpatienten könnten die allermeisten Praxen nicht existieren.

Welt Online: Die CDU fordert Zweibettzimmer für Kassenpatienten. Ist das sinnvoll?

Pfeiffer: Entscheidend ist, dass Patienten im Krankenhaus eine Behandlung nach dem neuesten medizinischen Stand bekommen. Wenn sie dabei im Zweibettzimmer liegen, ist das schön, aber es muss nicht sein. Um mehr Zweibettzimmer zu bekommen, sollte die Bundesregierung die Länder ermahnen, mehr Investitionen dafür zur Verfügung zu stellen.

Welt Online: Die Koalition will Zahnärzten mehr Honorar zugestehen. Was kostet das?

Pfeiffer: Wenn Honorarbudgets gelockert werden, steigen die Ausgaben. Das belastet die Kassen und am Ende die Versicherten über Zusatzbeiträge. Es kann nicht mehr Geld geben, wenn die Versorgung nicht besser wird. Eine bessere zahnmedizinische Versorgung kann ich im Moment nicht erkennen.

Welt Online: Auch die Gebührenordnung für Zahnärzte soll verändert werden. Für Kassenpatienten bedeutet das, dass sie mehr aus eigener Tasche dazuzahlen müssen. Ist das in Ordnung?

Pfeiffer: Wir untersuchen gerade, wie es sich ausgewirkt hat, dass die Kassen seit einigen Jahren nur noch einen festen Zuschuss zur Zahnbehandlung geben dürfen und die Versicherten den Rest selbst zahlen müssen. Unser erster Eindruck ist, dass die Versicherten immer mehr Geld direkt an ihre Zahnärzte zahlen.

Welt Online: Wie viel Geld ist das?

Pfeiffer: Das sind große Summen. Die genauen Beträge sind schwer herauszufinden, weil die Krankenkassen darüber kaum Daten haben. Dass die Zahnärzte gegen diese Praxis nicht protestieren, zeigt, dass sie wohl zufrieden mit der Entwicklung sind.

Welt Online: Ist das ein Trend, dass Versicherte immer mehr selbst zahlen? Es gibt ja auch die „individuellen Gesundheitsleistungen“, genannt IGeL.

Pfeiffer: Die Ärzte bieten individuelle Gesundheitsleistungen an, weil sie offenbar meinen, dass sie nicht genug verdienen. Dahinter stehen klare ökonomische Motive. Wenn diese Leistungen medizinisch notwendig wären, würden sie von den Kassen bezahlt. Patienten sollten genau nachfragen, was ihnen da verkauft wird. Bei diesen IGeL-Verkaufsgesprächen in der Arztpraxis muss ich immer an Haustürgeschäfte durch Staubsaugervertreter denken. Da werden auch viele Leute leicht überrumpelt oder verunsichert und kaufen etwas, was sie eigentlich nicht brauchen.

Welt Online: Der Gesundheitsfonds hat 2010 eine Milliarde Euro mehr eingenommen, als nötig war. Müsste der Gesundheitsminister das Geld nicht an die Krankenkassen weiterleiten? Einige müssen Zusatzbeiträge nehmen.

Pfeiffer: Der Fonds ist keine Sparkasse! Das Geld, das nicht für die gesetzlich vorgeschriebene Reserve benötigt wird, muss im Zuge der Finanzplanung 2012 wieder den Beitragszahlern zugute kommen. Ich erwarte, dass die eine Milliarde Euro dann entweder direkt den Kassen zur Vermeidung von Zusatzbeiträgen zur Verfügung gestellt oder für Beitragssenkungen verwendet wird. Auf keinen Fall darf die Milliarde für den Sozialausgleich bei den Zusatzbeiträgen verwendet werden, dafür ist Steuergeld aus dem Bundeshaushalt da.

Welt Online: Die Regierung plant ein Patientenrechtegesetz. Ihre Bewertung?

Pfeiffer: Dass die Patienten mehr Informationsrechte bekommen sollen, ist gut. Dass Krankenkassen bei Behandlungsfehlern medizinische Gutachten erstellen sollen, ist auch hilfreich. Besser wäre es, wenn die Kassen die Interessen von Patienten direkt vertreten könnten. Die Kassen brauchen mehr Handlungsmöglichkeiten, um vor Gericht oder in Schiedsverfahren bei den Ärztekammern für ihre Versicherten tätig werden zu können.

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