Kassen werfen Ärzten laxe Arbeitsmoral vor

Die Krankenkassen glauben, den Grund für den Ärztemangel gefunden zu haben: Eine Umfrage soll belegen, dass die Ärzte ihre Praxen zu kurz offen halten. Ärzte reagieren mit Unverständnis.

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BERLIN (af/sun). Kassen haben die Arbeitsmoral der Ärzte kritisiert - und damit die Ärzteschaft gegen sich aufgebracht.

Grund für die Empörung ist die Veröffentlichung einer Forsa-Umfrage im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen. Ihr zufolge öffnen niedergelassene Ärzte ihre Praxen im Schnitt nur 28,5 Stunden pro Woche für ihre Patienten, Hausärzte rund 26 Stunden, Fachärzte etwa 30 Stunden.

Für die GKV-Chefin Doris Pfeiffer ist das Ergebnis ein Beleg dafür, dass es keinen Ärztemangel gebe: "Da braucht sich niemand mehr zu wundern, warum viele kranke Menschen so lange auf einen Termin warten müssen, obwohl wir immer mehr Ärzte in Deutschland haben", sagte Pfeiffer dem Nachrichtenmagazin "Spiegel".

Tatsächlich zeigt die Umfrage aber auch, dass 96 Prozent der befragten Hausärzte bei Kassenpatienten zusätzlich Hausbesuche machen oder Termine nach Vereinbarung anbieten. Der durchschnittliche Aufwand dafür wird von den Hausärzten mit knapp weniger als acht Stunden pro Woche beziffert.

15 Prozent der 1400 befragten Haus- und Fachärzte nehmen sich sogar zwölf und mehr Stunden pro Woche für Patienten Zeit, die nicht in die Praxis kommen können. Zehn Prozent der Befragten benötigen ein bis zwei Stunden pro Woche für Hausbesuche, 17 Prozent drei bis vier Stunden pro Woche. Im Schnitt haben die Hausärzte demnach etwas mehr als 36 Stunden pro Woche Zeit für ihre Patienten.

Zu wenig, meint der GKV-Spitzenverband und nutzt die Umfrage, um sich in der Debatte über den Ärztemangel in Stellung zu bringen. Nach Ansicht des Verbandes könnte der "geringe Umfang der Sprechzeiten ein Grund dafür sein, dass trotz der Überversorgung gerade mit Fachärzten" Patienten Probleme hätten, einen Arzt-Termin zu bekommen.

Als "peinlich" und "realitätsfern" haben Sprecher von Ärzteorganisationen die Veröffentlichung des Kassenverbandes selbst und vor allem den Zeitpunkt der Verbreitung bezeichnet. Die Umfrage stammt aus dem Jahr 2009. "Interne Gründe" hätten bislang ihre Veröffentlichung verhindert, sagte ein Sprecher der Kassen.

Ein durchschaubares Manöver, sagte Frank Ulrich Montgomery, Vizepräsident der Bundesärztekammer (BÄK) der "Ärzte Zeitung". Die Kassen hätten die Ergebnisse der Umfrage in die Beratungen zum Versorgungsgesetz hinein platziert, um Stimmung gegen die Ärzte zu machen, sagte der BÄK-Vize.

Am Mittwoch tritt die Gesundheitsministerkonferenz zu einer Sondersitzung zusammen, um über ein Mitspracherecht der Länder bei der Versorgung mit Ärzten zu entscheiden.

"Die Sprechstundenzeiten haben nichts mit dem tatsächlichen Arbeitsaufwand der Ärzte zu tun", sagten am Montag Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, des Hausärzteverbandes, des NAV-Virchow-Bundes und des Hartmannbundes.

Die Umfrage spiegele nicht wider, welchen Aufwand Ärzte auch außerhalb der offiziellen Sprechzeiten betreiben müssten, um ihre Praxen am Laufen zu halten. Die Umfrage berücksichtige den zeitlichen Aufwand für Bürokratie und das Praxismanagement nicht.

"Hausbesuche außerhalb der Sprechzeiten sowie Bereitschaftsdienste nachts und an Wochenenden kommen noch hinzu", sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Köhler.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Rechenspiele ohne Realitätsbezug

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