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Sleaford Mods: Pöbeln gegen das System

Foto: Simon Parfrement/ Cargo Records

Polit-Punks Sleaford Mods "Ich bin raus aus dem Rattenrennen, fuck yeah!"

Das britische Punk-Duo Sleaford Mods wird als wütende Stimme des Prekariats gefeiert. Sänger Jason Williamson gelang die Flucht aus dem grauen Büroalltag ins Rockstar-Leben. Warum macht ihn das nicht glücklich?
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Foto: Cargo Records

Jason Williamson bellt brachial-poetische Texte mit vollem Körpereinsatz aus sich heraus - ein heiserer, mokanter Stakkato-Rap im derben Midlands-Dialekt, der alles anprangert, was Großbritannien dem Kleinen Mann von der Straße zumutet: von trockenen Vollkornkeksen ("Tied Up In Nottz") bis zur korrupten Wohlstandsklasse ("Face To Faces"). So ist der 44-Jährige aus Nottingham als Teil des Duos Sleaford Mods zur wütenden Stimme der europäischen Wirtschaftsverlierer geworden, diese Woche erscheint die neue Platte "Key Markets". Zum Interview kommt Williamson allein: Sein Partner Andrew Fearn, für die begleitenden Samples und Beats zuständig, hat nach dem Konzert am Vorabend im Berliner Punkclub SO36 verschlafen.

SPIEGEL ONLINE: Mr. Williamson, die Musik der Sleaford Mods ist sehr spezifisch britisch und handelt zum Teil von Alltagsgegenständen und Dingen, die man außerhalb Großbritanniens kaum kennt. Trotzdem sind Sie in Deutschland besonders erfolgreich. Ist das nicht komisch?

Williamson: Ja, ein bisschen schon. Aber es gibt eine lange Punk-Tradition in Deutschland, an die sich die Leute wohl erinnert fühlen. Vor allem nach einer so langen Phase, in der es kaum aggressive, ehrliche und organische Musik gab. Auch wenn sie meinen Slang wahrscheinlich oft nicht verstehen oder bestimmte Sachen nicht kennen, dann überträgt sich auf jeden Fall die Energie der Musik.

SPIEGEL ONLINE: Sie werden als Stimme der Arbeiterklasse und des Prekariats gefeiert, als Fürsprecher derjenigen, die unter der europäischen Sparpolitik am meisten zu leiden haben. Die Deutschen würde man jetzt nicht auf Anhieb dazurechnen.

Williamson: In meinen Texten geht es ja nicht konkret um Austeritätspolitik und die Folgen, sie handeln manchmal einfach nur davon, wie scheiße es ist, morgens aufzustehen und zur Arbeit zu gehen. Die Vergeblichkeit und die Monotonie eines Lebens in unserer Gesellschaft, damit können sich auch viele Deutsche identifizieren.

SPIEGEL ONLINE: Politisch, da sind sich Deutschland und Großbritannien wiederum ähnlich, scheint sich dieser Frust nicht zu äußern: Angela Merkel ist beliebt, bei Ihnen hat gerade der Konservative David Cameron erneut die Parlamentswahlen gewonnen.

Williamson: Na ja, auf dem Papier sieht es so aus, ja. Wir haben ein ziemlich verzwicktes Wahlsystem. Das Problem ist der Mittelstand: Er hat unter den Folgen der Sparpolitik auch zu leiden, aber es tut finanziell noch nicht so weh wie bei den Armen. Also wird die bürgerliche Fassade krampfhaft aufrechterhalten - und das hilft den Tories.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie gewählt?

Williamson: Ja, ich habe die Grünen gewählt, aber das war ein Fehler, ich hätte für Labour stimmen sollen.

SPIEGEL ONLINE: Was würden die anders machen als die Konservativen?

Williamson: Nicht viel. Aber vielleicht wären die Einschnitte ins Sozialsystem nicht ganz so heftig. Ach, fuck, wissen Sie was? Es ist doch ohnehin alles nur Augenwischerei! Gut und schön, dass sich Labour für die Arbeiter stark macht, aber wer zum Teufel will denn überhaupt noch arbeiten? Der Kapitalismus bietet eine Menge Kompensationsmöglichkeiten: Kauf' ich mir halt ein neues Paar Schuhe oder sauf' mir die Hucke voll. Mache ich auch gern, ist schon okay. Im Moment habe ich aber das Gefühl, dass sich diese Balance auflöst, weil immer mehr Leute spüren, dass sie sich nur im Kreis drehen.

SPIEGEL ONLINE: Und Sie haben einen Weg gefunden, diese miese Stimmung zu artikulieren?

Williamson: Ja, vielleicht, aber ich bin ziemlich spät drauf gekommen! Ich habe jahrzehntelang gearbeitet, bevor ich mit 35, 36 angefangen habe, meine Gedanken aufzuschreiben. Ich fühlte mich erschöpft und am Ende, wie ein totaler Versager. Musik gemacht hatte ich auch schon vorher, aber da war ein Punkt erreicht, an dem ich anfing, ehrlich und aufrichtig zu sein in meinen Texten.

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Comic: Die Sleaford Mods und Rosa Luxemburg

Foto: Pub Dust by Scott King/ Will Henry

SPIEGEL ONLINE: Also war es zunächst eher eine Art Selbsttherapie?

Williamson: Sicher, natürlich. Aber es ging auch um den Humor, der in den Texten steckt. Es ist immer gut, eine scheinbar ausweglose Situation mit ein paar Witzen aufzulockern. Ich habe mir meine eigenen prekären Umstände, in denen ich zeitweise gelebt habe, selbst eingebrockt, ich komme nicht aus so furchtbar armen Verhältnissen. Umso wichtiger, dass ich mich über mich selbst lustig machen kann, das ist eine Riesenerleichterung für mich, immer noch.

SPIEGEL ONLINE: Die Aggression, die ja auch zum Punkrock gehört, ist Ihnen nicht geheuer?

Williamson: Nein, ich glaube, so schlimm, dass ich die Leute aus dem Konzert jagen muss, damit sie draußen Autos anzuzünden, ist es noch nicht. Ich halte Gewalt für das Dümmste, was einem einfallen kann. Außerdem finde ich Gewalt geschmacklos.

SPIEGEL ONLINE: Sind das letzte Reste Ihrer Vergangenheit als Mod?

Williamson: Wahrscheinlich. Die Haltung hat mich sehr beeinflusst: Gib nicht gleich alles preis, sei reserviert, kontrolliert. Ich bevorzuge bis heute eine gewisse Coolness.

SPIEGEL ONLINE: Bei einem Konzert neulich in Berlin waren Sie für einen Moment ziemlich uncool, als Sie ins Publikum riefen: "Macht eure Zigaretten aus, ich brauche meine Stimme noch!"

Williamson: Na klar! Es ist wichtig, eine gute Show zu machen, und wenn meine Stimme am nächsten Tag versagt, dann haben wir ein Problem, es gibt ja nur mich und Andrew.

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Comic: Die Sleaford Mods und Lidl

Foto: Pub Dust by Scott King/ Will Henry

SPIEGEL ONLINE: Zuletzt haben Sie in der Gemeindeverwaltung von Nottingham gearbeitet und Sozialleistungen bewilligt. Im letzten Herbst haben Sie gekündigt, ist die Band Ihr neuer Job?

Williamson: In gewisser Weise, ja. Ich liebe es immer noch, nach Auftritten zu rauchen und zu saufen, aber seit vergangenem Jahr versuche ich, all das etwas kontrollierter als vorher zu tun. Es ist wichtig, dass wir dieses Ding am Laufen halten. Mit den Sleaford Mods verdienen wir unseren Lebensunterhalt.

SPIEGEL ONLINE: Wenn die Band zu Ihrem Lebensinhalt geworden ist, woher kommt dann die Inspiration für neue Songs, woher die nötige Wut?

Williamson: Ach, die lässt sich auch ganz gut aus dem Leben auf Tournee ziehen, denn das ist ja das, was ich jetzt hauptsächlich mache. Und das kann auch eine ganz schön beschissene Existenz sein, glauben Sie mir. Eigentlich ist es dasselbe wie in einem verschissenen Büro zu arbeiten.

SPIEGEL ONLINE: Wie bitte? Kein Glamour? Kein Rock'n'Roll?

Williamson: Ich vermisse meinen alten Job nicht… Na ja, manchmal schon. Nein, es ist besser so, wie es jetzt ist. Aber es bringt andere Probleme mit sich; man ist ständig unterwegs, ständig müde, verdammt alleine, weil man die Familie kaum noch sieht. Und es ist immer noch Arbeit, einfach verschissene Arbeit, tagein, tagaus! Ich bin sicher, da steckt noch viel Wut und Frust für jede Menge Songs drin.

SPIEGEL ONLINE: Also ist in Wahrheit alles wie vorher: Ein grauer Alltag ersetzt den anderen?

Williamson: Nicht ganz. Wenn ich meine Visage in der Zeitung sehe, wenn mich jeder auf der Straße erkennt, das fühlt sich schon gut an. Vor allem als Rache gegenüber den ganzen Wichsern, die geglaubt haben, ich kriege das eh nicht hin. Der Unglaube auf den Gesichtern? Unbezahlbar, fucking brilliant! Aber dennoch: In dieser kleinen, aber intakten Blase der Bürgerlichkeit, jeden Tag zur Arbeit zu gehen und abends wieder zur Familie zurückzukehren, darin liegt eben eine gewisse Sicherheit, die mir ab und zu fehlt.

SPIEGEL ONLINE: Ausgerechnet Sie vermissen Ihre öde Kleinbürgerexistenz? Irre.

Williamson: Ich weiß! Aber so sind wir nun einmal alle konditioniert! Ja, ich hab's geschafft, ich bin raus aus dem Rattenrennen, fuck yeah! Aber, lasst alle Hoffnung fahren, ich bin verdammt nochmal immer noch nicht glücklich!