Ihre Krebsdiagnose löste bei Dinah Bazer vor einigen Jahren einen gewaltigen Schock aus: Seither lebt die 69-jährige New Yorkerin mit dem Wissen, an einer lebensbedrohlichen Krankheit zu leiden. Ein Wissen, das von schweren Depressionen und Angstzuständen begleitet wurde.
Den Krebs konnte Bazer bisher nicht besiegen, aber ihre Ängste sind verschwunden, seit sie an einer klinischen Studie der New York University (NYU) teilnahm. Die Patientin beschreibt die Wirkung des getesteten Mittels als quasi religiöse Erfahrung.
„Als Atheistin fällt es mir schwer, das zu sagen, aber ich badete geradezu in der Liebe Gottes“, sagte sie bei der Vorstellung der Studie in New York. „Das Gefühl hielt mehrere Stunden lang an. Als das Erlebnis vorüber war, waren die Ängste noch immer weg, und mein Leben hatte sich geändert.“
Bei dem potenziellen Wundermittel, das die NYU-Forscher an 29 Patienten mit Krebserkrankungen im fortgeschrittenen Stadium erprobten, handelt es sich um Psilocybin, den psychoaktiven Wirkstoff von Rauschpilzen. Die sogenannten Magic Mushrooms gehören in vielen Ländern zu den illegalen Drogen.
Kleine Dosis kann Monate helfen
Die Mediziner schreiben dem Stoff eine geradezu bahnbrechende Wirkung zu. Eine einzige Dosis synthetisiertes Psilocybin könne Krebspatienten von Depressionen und Angstzuständen befreien, so die Autoren der Studie. Die positiven Effekte dauerten dabei sechs Monate oder länger an, sofern die Patienten von Psychotherapeuten betreut würden.
Diese Ergebnisse bestätigt eine zweite klinische Studie mit 51 Patienten, die von der Johns Hopkins University in Baltimore durchgeführt wurde. Beide Studien wurden in der psychiatrischen Fachzeitschrift „Journal of Psychopharmacology“ veröffentlicht, die dem Thema ihre gesamte Dezemberausgabe widmete.
Die Forschergruppen berichteten von sehr ähnlichen Behandlungserfolgen: Jeweils rund 80 Prozent der teilnehmenden Patienten sagten nach der Einnahme der Psilocybin-Dosis, dass sich ihr Wohlbefinden und ihre Lebenszufriedenheit spürbar verbessert hätten.
Der Leiter der NYU-Studie, Dr. Stephen Ross, beschrieb die Ergebnisse als „beispiellos“. „Es gibt nichts Vergleichbares“, sagte der Psychiater laut der britischen Zeitung „The Guardian“.
Klassische Mittel schlagen nicht an
Bis zu 40 Prozent der Patienten mit Krebs in fortgeschrittenem Stadium leiden nach Angaben der Mediziner an Depressionen und Angststörungen. Bei einigen führt die Todesangst sogar zu Selbstmordversuchen. Klassische Antidepressiva schlagen bei vielen dieser Patienten nicht an.
Professor Roland Griffiths, der die Studie an der Johns Hopkins University leitete, zeigt sich überrascht von den positiven Ergebnissen. „Ich war am Anfang skeptisch, dass diese Droge lang anhaltende Veränderungen hervorrufen könnte“, sagte er. Aber die Patienten hätten nach der Einnahme von „spirituell bedeutsamen Erlebnissen“ mit nachhaltigen positiven Folgen berichtet.
Manche Probanden bezeichneten die Erfahrungen als „mystisch“, ein Begriff, gegen den sich Griffiths verwehrte. „Es klingt unwissenschaftlich“, sagte er. „Als würden wir Mechanismen voraussetzen, die weit über die Neurowissenschaft hinausgehen. Das ist definitiv nicht der Fall.“
Die Einnahme des Wirkstoffs erfolgte in einer kontrollierten Umgebung: Die Probanden legten sich dazu auf eine Couch und setzten Schlafmaske und Kopfhörer auf. Mindestens ein Psychotherapeut war vor Ort, dem sie ihre Eindrücke während der Halluzinationsphase schildern konnten.
Manche Probanden berichteten von einem Gefühl der Schwerelosigkeit, andere erlebten Situationen aus ihrer Kindheit wieder. Viele Patienten erlebten auch düstere Szenen, wurden etwa mit Bildern ihrer Krebswucherungen konfrontiert. Die Aufgabe der Therapeuten vor Ort sei es auch gewesen, Probanden durch solche Phasen zu helfen.
Comeback der heilenden Drogen
Mit Halluzinogenen wie Psilocybin oder LSD experimentierten Psychiater und Psychotherapeuten bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren. Nachdem viele der Wirkstoffe als illegale Rauschmittel klassifiziert wurden, konzentrierte sich die Forschung lange Jahre auf die negativen Folgen ihres Konsums.
Inzwischen setzen Wissenschaftler auf der Suche nach neuen und besseren Medikamenten gegen Depressionen wieder große Hoffnungen auf die heilende Wirkung lange verbannter psychoaktiver Substanzen. Neben den Rauschpilzen gilt dabei vor allem Ketamin als vielversprechender Stoff.
Wie Halluzinogene genau im Hirn wirken, wissen die Neurowissenschaftler noch nicht. Es wird davon ausgegangen, dass sie Serotonin-Transmitter im Gehirn aktivieren, die Botenstoffe freisetzen und zu den geschilderten Halluzinationen führen. Im Fall von Psilocybin lautet eine der Theorien, der Wirkstoff unterbreche den Kreislauf selbstbezogener Gedanken, der typisch für Depressionen sei.
Der Einsatz von Psilocybin ist nicht frei von Risiken. Bei einigen Probanden, etwa solchen mit einer genetischen Vorbelastung für Schizophrenie, können Halluzinogene auch eine Psychose auslösen. Zudem existiert das Risiko, dass Flashbacks der Halluzinationen später unerwartet auftreten oder dass der Einnahme ein depressiver Absturz folgt.