Der Untergrund der Drogen-Therapeuten

llegale Substanzen können heilende Wirkungen haben – daran glaubt laut einem Schweizer Experten eine deutlich dreistellige Zahl von Therapeuten im deutschen Sprachraum. Doch wie ein aktueller Fall zeigt, sind die Risiken erheblich.

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Von
  • Sascha Mattke

llegale Substanzen können heilende Wirkungen haben – daran glaubt laut einem Schweizer Experten eine deutlich dreistellige Zahl von Therapeuten im deutschen Sprachraum. Doch wie ein aktueller Fall zeigt, sind die Risiken erheblich.

Den Rettungskräften bot sich ein erschreckender Anblick: In einem idyllischen Tagungszentrum in der Nordheide stießen sie Anfang September nach einem Notruf auf 29 hilflose Menschen mit Wahnvorstellungen und teils schweren Krämpfen. Allem Anschein nach stand dahinter der Versuch einer Psychotherapie mit Hilfe von illegalen Drogen. Derartige Veranstaltungen sind gar nicht so selten, sagt der Schweizer Matthias Diesch, der seine Master-Arbeit und ein Buch über den Einsatz von LSD in der klinischen Forschung geschrieben hat.

Technology Review: Herr Diesch, bei einem Heilpraktiker-Seminar Anfang September in Norddeutschland musste ein Großaufgebot an Notfallmedizinern die Teilnehmer retten, weil sie schwerste Ausfallerscheinungen zeigten. Offenbar hatten die Betroffenen die psychedelisch wirkende, illegale Substanz 2C-E eingenommen. Was ist da passiert?

Matthias Diesch: Vermutlich ging es dabei um eine sogenannte psycholytische Therapie. Wie genau solche Veranstaltungen ablaufen, kann ich nicht sagen. Aber es gibt sie, und grundsätzlich wird dort eben versucht, mit solchen Substanzen therapeutisch zu arbeiten – man trifft sich und nimmt die Substanzen gemeinsam ein.

In Handeloh scheint aber etwas davon nicht richtig funktioniert zu haben...

Offenbar gab es hier eine massive Überdosierung. Nach manchen Berichten hat die Wirkung bei den Teilnehmern länger als 20 Stunden angehalten, was nicht normal ist.

Ausgehend davon, dass es sich hier nicht um eine gezielte Überdosierung gehandelt hat: Kann man diese Substanzen nicht vor der Einnahme auf ihren Wirkstoffgehalt testen?

Doch, das ist durchaus möglich. In der Schweiz gab es auf manchen großen Techno-Partys sogar Zelte, in denen Besucher ihre illegalen Substanzen überprüfen lassen konnten, damit sie nicht versehentlich zu viel oder etwas Falsches nehmen. Warum das bei der Veranstaltung in Handeloh nicht gemacht wurde, weiß ich nicht.

Warum wird bei psycholytischer Therapie denn überhaupt mit illegalen Substanzen gearbeitet? Wäre es nicht sicherer, dafür klassische Psychopharmaka zu verwenden?

Eigentlich kann man zwischen Medikamenten und sogenannten Drogen gar nicht sinnvoll unterscheiden. Beide haben eine bestimmte erwünschte Wirkung, und abhängig von der Menge können beide zum Gift werden. Wobei man sagen muss, dass die Wirkung von manchen Psychopharmaka relativ bescheiden ist. Bei psychedelischen Stoffen dagegen ist es manchmal so, dass schon nach wenigen Gaben eine dauerhafte Verbesserung eintritt.

Warum gibt es dann nicht längst viele psychedelische Stoffe, die nach den üblichen Mechanismen erprobt und als Medikamente zugelassen wurden?

Aus Forschungssicht sind das tatsächlich relativ potente Substanzen mit relativ geringen Nebenwirkungen. Aber nachdem sie Ende der 1960er Jahre unkontrolliert in die breite Öffentlichkeit gelangt waren, wurden sie sehr schnell und eigentlich nicht gut begründet verboten. Heute gelten sie als Drogen, so dass medizinische Studien damit sehr erschwert sind. Davon abgesehen sind sie für die Pharmabranche nur von geringem Interesse, weil sie wie erwähnt teils schon nach sehr wenigen Dosen zu wirken scheinen, was das Verkaufspotenzial verringert.

Also gibt es keine Chance, dass die nach Ihrer Einschätzung potenziell hilfreiche Substanzen ihren Weg in legale Anwendungen finden werden?

Das könnte passieren. Allerdings gibt es ja mittlerweile verstärkt Aufmerksamkeit für die medizinischen Möglichkeiten von Marihuana und auch einige Studien mit Substanzen wie MDMA, LSD oder Psilocybin – weltweit werden es vielleicht 10 oder 20 sein. Bei mehreren davon zeigten sich noch lange nach der Einnahme von wenigen Dosen nachgewiesene Symptomverbesserungen.

Bis solche Ergebnisse bestätigt und entsprechende Medikamente zugelassen sind, dauert es manchen Therapeuten und Patienten offenbar zu lang. Kann man hier von einem Untergrund sprechen, und wie groß würden Sie ihn ungefähr einschätzen?

Ja, es gibt eine solche Untergrund-Szene. Wie groß sie ist, lässt sich schwer sagen, aber im deutschen Sprachraum gibt es vielleicht 500 bis 1.000 Personen, die derartige Therapien anbieten. Allerdings handelt es sich dabei nicht immer um formal ausgebildete Therapeuten – zum Teil geht es hier eher ins Schamanische. Der Hintergrund ist, dass man nicht nur klassisch als krank angesehene Menschen wie etwa Trauma-Geschädigte behandeln möchte, sondern auch gesunde, denen es um Selbstentfaltung und eine Steigerung der Lebensqualität geht.

So dass hier die Grenze zur Nicht-Medizin überschritten wäre und wir uns eher wieder im Bereich des Drogenkonsums befinden. Wie können sich denn Menschen schützen, die ungeachtet der Illegalität aus medizinischen oder anderen Gründen an einer Psycholyse-Veranstaltung teilnehmen wollen?

Der Unterschied zwischen echtem Drogenkonsum und solchen eher therapeutisch motivierten Anwendungen liegt darin, dass es hier nur um wenige, gezielte Sitzungen geht. Das Problem bei illegalen Substanzen ist aber eben, dass sie aus zweifelhaften Quellen stammen können, so dass man nicht genau weiß, was man vor sich hat und wie viel davon. Man sollte sich auf jeden Fall vorher über den Therapeuten und seine Ausbildung erkundigen. Und man sollte darauf drängen, dass er seine Substanzen testet oder testen lässt.

(sma)