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CDU-Politiker in Tafel-Debatte: Faktencheck: Linke wüten wegen Aussage von Jens Spahn zu Hartz IV – hat er recht?
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Spahni Spahn
FOCUS Online/Wochit Spahni Spahn
  • FOCUS-online-Redakteur (München)

Tagelange diskutierte Deutschland über die Essensausgabe an der Essener Tafel. Der designierte Gesundheitsminister Jens Spahn sah sich nun genötigt, klarzustellen, dass jeder in Deutschland mit Hartz IV das habe, „was er zum Leben braucht“. Damit zog er sofort Empörung auf sich.

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Grünen-Chefin Annalena Baerbock warf ihm vor, sich mit seinen Äußerungen über Arme zu erheben. Die Linke forderte von Kanzlerin Angela Merkel sogar, Spahn nicht wie geplant zum Gesundheitsminister zu machen. Und sogar aus den eigenen Reihen gab es vorsichtige Kritik:  "Ich warne immer etwas davor, wenn Menschen, die, so wie er oder wie ich, gut verdienen, versuchen zu erklären, wie man sich mit Hartz IV fühlen sollte", sagte CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer im ZDF-"Morgenmagazin".

Aber was ist dran an Spahns Aussagen? FOCUS Online erklärt die Zusammenhänge und überprüft die Behauptungen des CDU-Politikers auf ihren Wahrheitsgehalt.

1. Aussage von Spahn: Mit Hartz IV habe „jeder das, was er zum Leben braucht".

Wer seine Arbeit verliert, erhält zunächst das "Arbeitslosengeld 1". Es wird für einen begrenzten Zeitraum direkt nach dem Verlust eines Arbeitsplatzes gezahlt, um einen finanziellen Ruin zu verhindern. Hartz IV ist der umgangssprachliche Begriff für das "Arbeitslosengeld 2". Dieses wird grundsätzlich gezahlt für arbeitsfähige Menschen, die bedürftig sind und kein Arbeitslosengeld 1 beziehen.

Hartz IV richtet sich nach dem sogenannten „sozio-kulturellen Existenzminimum“. Dahinter verbirgt sich laut Definition des Ifo-Institutes „das Einkommen, das mindestens notwendig ist, damit eine Person am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann“.  Die Gewährleistung des soziokulturellen Existenzminimums zählt in Deutschland zu den Grundrechten.

Hartz IV setzt sich im Grunde aus drei Komponenten zusammen: Dem Regelsatz, den Kosten für Wohnung und Heizung sowie eventuellen Mehrausgaben.

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  • Regelsatz: 

Damit sind die Ausgaben des täglichen Bedarfs pro Person gemeint. Darunter fallen etwa die Kosten für Essen und Kleidung, aber auch für Freizeit oder Bildung. (Details zur Berechnung siehe Aussage 2) Die Höhe ist unterschiedlich und hängt unter anderem von Familienstand und Alter ab. Wichtig zu wissen: Diesen Satz bekommen auch Obdachlose. Zudem sind Hartz-IV-Empfänger automatisch krankversichert und müssen diese Kosten nicht selbst stemmen.

Der Regelsatz für einen Erwachsenen beträgt seit Anfang des Jahres 416 Euro. Der Partner bekommt 374 Euro. Kinder unter sechs Jahre bekommen 240 Euro, für 6 bis 13-Jährige sind 296 Euro vorgesehen, Jugendliche bis 18 erhalten 316 Euro, junge Erwachsene bis 25 Jahre 332 Euro.

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Es handelt sich um eine Pauschale, deren genaue Zusammensetzung nur alle fünf Jahre für einzelne Posten vom Gesetzgeber genau aufgeschlüsselt wird. Zudem kann jeder Empfänger selbst entscheiden, was er mit dem Geld macht. Deshalb ist eine Aufteilung nicht ganz einfach: Ein Erwachsener kann laut der Berechnung der Seite „Hartz-IV.org“ im Monat zum Beispiel 145,04 Euro für Essen ausgeben, bei 30 Tagen im Monat seien das 4,83 Euro pro Tag. Für Kleider und Schuhe stünden monatlich 36,45 Euro zur Verfügung, 1,21 pro Tag. Bei Kindern bis fünf Jahren sind pro Monat 84,12 Euro für Lebensmittel vorgesehen, 2,80 Euro pro Tag. Damit machen diese Ausgaben bei Kindern 35 Prozent des Satzes von 240 Euro aus.

  • Kosten für Wohnung und Heizung:

Der Staat bezahlt jedem Hartz-IV-Empfänger zusätzlich zum Regelsatz eine angemessene Wohnung inklusive der Kosten für Heizung und Warmwasser. Wie hoch die Miete sein darf, legt grundsätzlich jede Kommune fest, da die Preise stark variieren. Deutschlands teuerste Großstadt München etwa hat festgelegt, dass die Wohnung für eine alleinstehende Person maximal 657 Euro kosten darf. Eine Familie mit zwei Kindern bekommt maximal 1093 Euro für eine 90 Quadratmeter große Wohnung.

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  • Mehrausgaben: 

Das Sozialministerium schreibt dazu: „Auf Antrag können die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende einmalige Leistungen gewähren. Möglich sind Zahlungen beispielsweise, wenn ein Haushalt zu gründen ist, die Geburt eines Kindes bevorsteht oder wenn die Versorgung mit orthopädischen Schuhen erforderlich ist.“

Fazit: Die Aussage stimmt grundsätzlich.

Allerdings gibt es selbst vom Koalitionspartner Kritik. So widersprach SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil dem künftigen Gesundheitsminister Spahn. "Es gibt einfach Bereiche, wo wir sehen: Trotz Hartz IV geht es den Menschen nicht gut, und da wollen wir ran", sagte Klingbeil am Montag im ZDF-"Morgenmagazin". Und die Fraktionschefin der Linken, Sahra Wagenknecht, sagte mit Blick auf die Hartz-IV-Sätze: Wer meine, dass dies keine Armut sei, solle sich "vielleicht mal mit einer Mutter unterhalten, die unter solchen Bedingungen ihr Kind großziehen muss".

2. Aussage von Spahn: Die gesetzliche Grundsicherung werde mit großem Aufwand genau bemessen und regelmäßig angepasst.

Die genaue Festlegung des Bedarfs erfolgt laut Sozialministerium alle fünf Jahre, wenn neue Daten über das Ausgabeverhalten der Haushalte in Deutschland vorliegen. Für diese Berechnung macht das Statistische Bundesamt eine „Einkommens und Verbraucherstichprobe“ bei privaten Haushalten. Einige tausend Haushalte führen dafür drei Monate ein Haushaltsbuch. Die Statistiker prüfen dies auf Plausibilität und ermitteln daraus den Bedarf. In den Jahren dazwischen erlässt die Bundesregierung jedes Jahr eine Verordnung zur Anpassung des Regelbedarfs. Mithilfe eines Mischindexes aus der Entwicklung der Gehälter und der Inflation wird der Hartz-IV-Satz zum 1. Januar angehoben.

Fazit: Aussage stimmt.

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3. Aussage von Spahn: „Mehr wäre immer besser, aber wir dürfen nicht vergessen, dass andere über ihre Steuern diese Leistungen bezahlen."

Das Arbeitslosengeld 1 (ALG I) ist eine Versicherungsleistung und wird aus den Beiträgen der Arbeitnehmer zur Arbeitslosenversicherung bezahlt. Daher kommt es für den Bezug auch nicht auf Bedürftigkeit an, die Höhe des vorhandenen Vermögens spielt also keine Rolle. Anspruchsberechtigt ist nur, wer in den beiden Jahren vor Eintritt der Arbeitslosigkeit mindestens ein Jahr gearbeitet hat. Das ALG I beläuft sich grundsätzlich auf 60 Prozent des Bruttoarbeitslohns. Die Höchstdauer für den Bezug von ALG I beträgt 24 Monate.

Hartz IV hingegen ist eine sogenannte Transferleistung und wird unabhängig von etwaigen früheren Steuern oder Beitragszahlungen geleistet, es gibt keine Höchstdauer für die Zahlung. Finanziert wird Hartz IV über Steuern.

Fazit: Aussage stimmt.

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