Warum wir unsere Meinungen nicht ändern

Niemand überdenkt sein Weltbild gerne. Es macht uns aus und gibt uns ein Zugehörigkeitsgefühl.

Warum wir unsere Meinungen nicht ändern

Die Irrationalität des Weltbildes ist dafür vollkommen unerheblich. Sogenannte kognitive Verzerrungen helfen uns dabei, wider die Fakten an unserer Meinung festzuhalten. Insbesondere politische Ansichten werden zunehmend durch Emotionen bestimmt und gefährden so den rationalen Diskurs.

Wie und warum sich Menschen vor neuen Überzeugungen schützen

Die Gesamtheit der persönlichen Überzeugungen eines Menschen beschreibt sein Weltbild. Wer in seinem Weltbild erschüttert wird, muss lieb gewonnene und über Jahre kultivierte Ansichten revidieren und hinterfragt dabei immer auch sich selbst oder die Gruppe, die dieses Weltbild reproduziert. Die eigenen Überzeugungen sind elementarer Bestandteil der eigenen Identität, weswegen sie auch um den Preis der intellektuellen Redlichkeit beschützt werden. Die Psychologin Dorothe Kienhues nennt ein treffendes Beispiel: „Für einen tiefreligiösen Menschen kann es sehr schwer sein, unvoreingenommen über embryonale Stammzellenforschung zu diskutieren.“[1]

Anstatt sich neuen Informationen, die mit dem eigenen Weltbild nicht vereinbar sind, also unvoreingenommen anzunehmen oder zumindest einer Überprüfung zu unterziehen, greifen sogenannte kognitive Verzerrungen, die es dem Individuum erlauben, hinsichtlich seiner Überzeugungen konsistent zu bleiben. Diese kognitiven Verzerrungen (cognitive bias) sind fehlerhafte Neigungen beim Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen und bleiben meist unbewusst.

Widersprüche, die sich durch neue Informationen ergeben, erzeugen eine sogenannte kognitive Dissonanz. Die gleichzeitige Existenz nicht miteinander vereinbarer Kognitionen (Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten) wird vom Individuum als unangenehm empfunden, weswegen es kognitive Dissonanz zu vermeiden versucht. In einer bildgebenden Studie konnte Drew Westen von der Emry University in Atlanta im Jahr 2004 belegen, dass Widersprüche zwischen Fakten und Wunschvorstellungen bestimmte Hirnareale wie den anterioren zingulären Kortex und den ventromedialen präfrontalen Kortex stärker durchbluten lassen.[2] Diese Hirnareale gelten als Verarbeitungsstationen für negative Gefühle, Stresserleben und Schmerz.

Deswegen werden eingehende Informationen so aufgenommen, dass drohende negative Gefühle abgewendet und positive Gefühle maximiert werden („motivated reasoning“) oder derart interpretiert, dass sie die eigenen Erwartungen erfüllen („confirmation bias“). Brendan Nyhan bewies 2010 in einer Studie der University of Michigan, dass mit den eigenen Einstellungen konfligierende Inhalte nicht nur als falsch wahrgenommen werden, sondern zusätzlich das eigene Weltbild verstärken.[3] Neben politischen Einstellungen konnte Nyhan diesen „Backfire-Effekt“ auch für andere Bereiche wie Impfkampagnen für junge Eltern nachweisen. Kritische Eltern standen dem Impfen danach im Schnitt noch ablehnender gegenüber.

„Irrational sind immer nur die anderen“, mag man sich denken. Weit gefehlt: In einer Anfang 2017 veröffentlichen Studie konnte der kanadische Psychologe Jeremy Frimer und seine Kollegen belegen, dass sowohl konservativ als auch liberal eingestellte Menschen gleichermaßen dazu neigen, der eigenen Gesinnung entgegenstehende Informationen zu vermeiden, was die Tragweite dieser kognitiven Vermeidungsstrategien verdeutlicht.[4]

Auch Facebook und andere soziale Medien begünstigen als digitale Echokammer kognitive Verzerrungen, die zugunsten des eigenen Weltbildes wirken. User bestärken sich in einer oft homogenen und begrenzten Gemeinschaft in ihren jeweiligen Sichtweisen selbst und werden durch den Facebook-Algorithmus selten mit neuen Sichtweisen konfrontiert. Auch hier werden Informationen so ausgewählt und interpretiert, dass sie die eigenen Erwartungen erfüllen und das Weltbild konsolidieren („confirmation bias“, ‚Bestätigungsfehler’).

Selbstverständlich gibt es viele Menschen, die sich von Fakten und besseren Argumenten überzeugen lassen. Zum einen hilft das Wissen über die beschriebenen kognitiven Verzerrungen, zum anderen ist insbesondere eine ausgebildete Ambiguitätstoleranz von Vorteil. Ambiguitätstolerant sind diejenigen, die mehrdeutige und widersprüchliche Informationen oder Situationen aushalten und ggf. sogar nutzbar machen können. In Anbetracht der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft und der Ideologisierung vieler Diskurse scheint die Fähigkeit der Ambiguitätstoleranz aber auf dem Rückzug zu sein.

Besonders hartnäckig: politische Einstellungen

Auch unsere politischen Einstellungen sind oft nicht rational begründet, sondern unterliegen der Macht der Emotionen. Weil die Politik infolge zunehmender Probleme eine höhere Aufmerksamkeit erfährt, kristallisieren sich auch hier verschiedene Pole der Weltdeutung heraus, die über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe verfestigt werden. Dadurch wird auch die politische Positionierung ein wichtiger Teil der eigenen Identität und der politische Konsens dieser Gruppe allzuoft übernommen, ohne ihn anzuzweifeln. Diejenigen, die diesem Konsens widersprechen, entscheiden sich nach einer Kosten-Nutzen-Rechnung zwischen rational fundiertem Weltbild und der über diesen Konsens vermittelten sozialen Zugehörigkeit (oft unbewusst) vorwiegend für Letzteres. Es ist wesentlich angenehmer, seine Rationalität und intellektuelle Redlichkeit hintanzustellen als sozial isoliert zu sein.

Weil der Mensch eine Begründung für diese Entscheidung braucht, wurden Begriffe wie das „Postfaktische“ (besser: Kontrafaktische) erfunden, die Wahrheiten und Fakten relativieren. Andere Taktiken, um die Inkonsistenzen des eigenen Weltbildes vor Kritik zu schützen, sind neben oben aufgeführten kognitiven Verzerrungen, die zumeist aber primär das Individuum selbst betreffen, der Angriff gegen den Kritiker (Ad-Hominem-Argument), die Abweisung der Kritik aufgrund ihrer moralischen Unerwünschtheit (moralistischer Fehlschluss) oder andere argumentative Fehlschlüsse.

Die Verteidigung von Positionen der eigenen politischen Partei oder Bezugsgruppe hat als kognitive Verzerrung sogar einen eigenen Namen: „Partisan Bias“.

Die politische Debatte ist durch Emotionen bestimmt

Generell scheinen sich Tatsachen zunehmend momentanen Stimmungen unterzuordnen. Das ist beim Regenten des Postfaktischen, Donald Trump, zu beobachten, aber auch in der hiesigen Migrationsdebatte, wo die Willkommenskultur nicht nur die Herzen öffnete, sondern auch die Tore zu einer dogmatischen und moralinsauren Gesinnungsethik, die jedwede noch so sachlich vorgebrachte Kritik zugunsten des blauäugigen Multikulturalismus im Keim erstickte. Aber auch in anderen politischen Diskussionen (u.a. Cannabislegalisierung, Diesel-Fahrverbote, Glyphosat) wird der gefühlte Konsens oder eine empfundene Emotion als Beweis für eine Annahme betrachtet. Dieser als „emotionale Beweisführung“ bekannte Bias erschwert einen gesellschaftlichen und politischen Diskurs, der auf Fakten rekurriert.

Zusätzlich sind die durch Medien, Politiker und überwiegend höheren Gesellschaftsschichten perpetuierten gängigen Überzeugungen und Narrative das soziale Bindemittel, über deren Zustimmung gute (Ingroup) von schlechten Menschen (Outgroup) destilliert werden. Man vertritt diese Überzeugungen nicht nur, weil sie identitäre Zugehörigkeit durch Abgrenzung von anderen bieten. Vielmehr ist schon ihre Anerkennung, das Fürwahrhalten, Voraussetzung der positiven Identifikation mit der Gruppenidentität. Ein Beispiel: In einigen, sich selbst als „links“ bezeichnenden Kreisen, ist es Usus, dem Konzept „offene Grenzen“ vorbehaltlos zuzustimmen. Dass die Befürwortung offener Grenzen aus mehreren Gründen vollkommen irrational ist, scheint für ihre Werber nicht relevant zu sein. Die Forderung nach offenen Grenzen ist in erster Linie Ausdruck eines Weltbildes, das vorrangig ex negativo zu anderen funktioniert und nur nachrangig logisch sein muss.

Problematisch hierbei ist, dass die Verurteilung und der Ausschluss derjenigen, die diesem Konzept nicht gänzlich zustimmen wollen, der kritischen und genauen Analyse neuer und anderer migrationspolitischen Lösungen hinsichtlich ihrer Praktikabilität und moralischen Implikationen oft vorausgehen. Es wird diskursiv eine binäre Gesellschaft konstruiert, die moralistisch segregiert wird und für Menschen, die sich dieser Bipolarität nicht fügen wollen, zum Verhängnis werden kann. Denn nur wenige sind davor gefeit, Fremdwahrnehmungen nicht auch als Selbstwahrnehmungen zu adaptieren. Wer oft genug hört, er sei (z.B. aufgrund seiner Ablehnung gegenüber offenen Grenzen) ein Rassist, wird seine identitäre Heimat womöglich aus Angst vor der Last des Individualismus und der weltanschaulichen Einsamkeit zunehmend bei ebenso Bezeichneten suchen. Auch deshalb schweigen viele in ideologisch und identitätspolitisch besetzten Grabenkämpfen wie der Migrationsdebatte.

Die aktuelle Verwaltungspolitik ist eine Politik der Emotionen. Bis das Faktische über sie und der ihr unterstellten Gesellschaften hereinbricht, wird sie weitere politische Märchen schreiben, um die Bürger und sich selbst von negativen Gefühlen fernzuhalten. Das Falsche aber darf nicht mit Rücksicht auf Emotionen legitimiert, das empirische Faktum nicht durch eine Gleichwertigkeitsdoktrin als nur ein Zugang zur Welt verstanden werden. Die wissenschaftliche Methode ist nicht irgendein Weg neben vielen, um sich der Wahrheit anzunähern, sondern der geeignetste. Es ist Zeit, die Politik, insbesondere im Bereich der Migration, auf ein rationales und problemlösungsorientiertes Fundament zu setzen und sich dem übergroßen Elefanten im Raum endlich anzunehmen. Dafür müssen einige Illusionen unangenehmen Wahrheiten weichen.

Quellen

[1] Aus: Theodor Schaarschmidt: „Es fühlt sich so wahr an.“ Spektrum der Wissenschaft. Gehirn und Geist. 09/2017. S. 27.

[2] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17069484

[3] https://www.dartmouth.edu/~nyhan/nyhan-reifler.pdf

[4] Den Probanden wurde Geld dafür geboten, die Argumente der Gegenseite in der Debatte um gleichgeschlechtliche Ehen zu lesen. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer verzichtete auf das Geld.

Quelle: http://beta.latimes.com/opinion/op-ed/la-oe-frimer-skitka-motyle-motivated-ignorance-20170104-story.html

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Kommentare

  1. userpic
    Norbert Schönecker

    Ein leider sehr treffender Artikel.

    Es freut mich, dass der Autor feststellt, dass seine Analyse gleichermaßen auf liberale wie auf konservative Menschen zutrifft. Zu einer dieser Gruppen wird sich Herr Kruppa wahrscheinlich zugehörig fühlen. Hier nicht parteiisch zu sein, zeugt von wissenschaftlicher Seriosität und menschlicher Größe.

    Dass die wissenschaftliche Methode an sich immun gegen Vorurteile und Sturheit ist, das mag stimmen. Aber auch der Wissenschaftsbetrieb ist nicht frei von Meinungen, die manchmal höher gewertet werden als wissenschaftliche Forschungsergebnisse. Welche Forschung finanziert wird und welche nicht; was publiziert wird und was nicht; wer einen Lehrstuhl bekommt und wer nicht - das entscheiden Menschen, und es wird stark von Meinungen beeinflusst. Teils von persönlichen Meinungen, teils (über Umwege) von der öffentlichen Meinung.

    Zum Bereich "Emotionen": Emotionen spielen eine große Rolle. Auch bei Entscheidungen. Ich möchte festhalten, dass das typisch menschlich ist. Den emotionalen Anteil bei Entscheidungen auszuklammern, wäre unmenschlich, und ich hielte es deshalb für schlecht. Ich breche gerne eine Lanze für emotionale Entscheidungen. Nur: Man sollte sich immer im Klaren sein, ob man jetzt mit dem Verstand oder mit dem "Bauch" entscheidet. Es ist manchmal völlig okay, auf den Bauch zu hören. Man sollte aber nicht krampfhaft versuchen, seine Bauchentscheidung rational zu verkleiden. Das wäre auch gar nicht nötig. Ich bin kein völlig rationales Wesen, und darüber bin ich insgesamt sehr glücklich.
    Je mehr Verantwortung Menschen für andere tragen, desto rational begründbarer sollten aber die Entscheidungen sein. Bei Entscheidungen der Regierung in der Migrationsfrage ist das der Fall.

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