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Kabinett stimmt DVG zu

Apps auf Kassenkosten

Online-Sprechstunde, App auf Rezept, Tagebuch für Diabetiker – das Bundeskabinett hat heute dem Entwurf für das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) zugestimmt. Beim Pressetermin in Berlin äußerte sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auch zur E-Patientenakte, für die er ein weiteres Gesetz plant.
Jennifer Evans
10.07.2019  12:46 Uhr

Für Jens Spahn stellt das Digitale-Versorgung-Gesetzeinen »Paradigmenwechsel im Gesundheitssystem« dar. Mit dem  DVG sollen Patienten in Zukunft von digitalen Angeboten profitieren können. Ab 2020 soll es beispielsweise die App auf Rezept geben und auch andere telemedizinische Angebote wie die Online-Sprechstunde sollen zum Versorgungsalltag gehören. Ärzte dürfen dann auch auf ihrer Website darüber informieren, wenn sie Videosprechstunden anbieten. 

Vorgesehen ist, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die digitalen Anwendungen zunächst auf Sicherheit, Qualität, Datenschutz und Nutzerfreundlichkeit prüft. Dabei geht es ausschließlich um Medizinprodukte der niedrigen Risikoklassen I oder IIa. Diese sollen dann ein Jahr lang von der Kasse erstattet werden. So lange hat der Hersteller Zeit nachzuweisen, dass sein Produkt die Versorgung tatsächlich verbessert. Darunter fallen etwa Anwendungen, die bei der regelmäßigen Einnahme von Medikamenten helfen sowie Apps für Schwangere oder Diabetiker.

Außerdem ist im DVG geregelt, dass sich Arztpraxen und Apotheken an die Telematik-Infrastruktur (TI) anschließen müssen. Das Fristende für Apotheken wurde auf Ende September 2020 verlängert, ursprünglich war es für Ende März 2020 vorgesehen. Allerdings sind keine Sanktionen geplant, sollten die Offizinen den Termin nicht einhalten können. Auch sieht das DVG vor, dass künftig Heil- und Hilfsmittel auf elektronischem Weg verordnet werden können. 

Gesundheitsdatenschutz-Gesetz geplant

Wirbel hatte es um die letzte Entwurfsversion des DVG gegeben, weil darin die zusätzliche Vergütung für die Überarbeitung des E-Medikationsplans nicht mehr auftauchte. Ursprünglich sollte diese Leistung als pharmazeutische Dienstleistung gelten und entsprechend vergütet werden. Diese Passage hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) kürzlich gestrichen. Jetzt ist klar warum: Offenbar hatte es mit Blick auf die elektronische Patientenakte (EPA) sowie den elektronischen Medikationsplan Probleme in Sachen Datenschutz gegeben. Diese Angelegenheiten sowie die Themen Impf- und Mutterschutzpass will Spahn nun mit einem zusätzlichen Gesetz separat regeln und sich dazu mit dem Justizministerium abstimmen. Und das noch bis zum Herbst dieses Jahres, wie er ankündigte. Unberührt davon bleibe der Starttermin für die EPA im Januar 2021, so der Minister. Möglicherweise könnte in dem neuen Gesetz dann auch wieder der Zugang zu einer allgemeinen Referenzdatenbank mit einheitlichen Bezeichnungen für Wirkstoffe, Darreichungsformen und Wirkstärken auftauchen, auch dies war ursprünglich geplant. 

Ein weiteres Digitalgesetz dürfte die Deutsche Hochschulmedizin und die Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF) erfreuen. Sie erachtet das DVG nämlich als bloßen »Zwischenschritt« und vermisst darin einen »datenschutzkonformen Vorschlag« für die EPA. Insgesamt seien die Belange der Forschung zu wenig berücksichtigt, heißt es. Dazu gehöre auch die Garantie, dass die Informationen aus der EPA strukturiert und interoperabel vorlägen.

Änderungen im parlamentarischen Verfahren wünscht sich auch der AOK-Bundesverband. Ein Dorn im Auge ist ihm, dass die Kassen ein Jahr lang für neue digitale Anwendungen zahlen sollen – und zwar zum Preis des Herstellers. Der Bundesverband sieht darin ein Kostenrisiko, da der Nutzen für die Patienten zu dem Zeitpunkt noch »völlig unklar« und schlimmstenfalls sogar mit neuen Risiken verbunden sei. Weitaus positiver bewertet hingegen der BKK Dachverband die Kabinettsfassung des DVG. Er sieht darin »wichtige Akzente für digitale Anwendungen und Innovationen im Gesundheitswesen«.  Insbesondere die neue Gestaltungsfreiheit der Kassen, ihre Finanzmittel gezielt für digitale Tools einsetzen zu dürfen, bezeichnet der Dachverband als einen »Meilenstein im Gesetz«. Vorgesehen ist, dass die Kassen sich künftig am Kapital der Innovationen mit 2 Prozent ihrer Finanzreserven beteiligen können. Der Techniker Krankenkasse (TK) ist nun wichtig, dass sich der Start der EPA trotz allem nicht verzögert.

Politiker pochen auf saubere Lösung

Wesentlich nüchterner sind die Stimmen aus der Politik. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, kritisiert das DVG als »abgespeckten Gesetzentwurf«. Weil die Versicherten nicht festlegen könnten, welcher Arzt ihre Daten lesen dürfe, fehlten nun auf Druck des Justizministeriums sämtliche Regelungen zur EPA. Damit sei die Akte zum Start nur eine »nutzlose Attrappe, denn die Versicherten haben auch keinen Anspruch, dass Leistungserbringer dort Daten ablegen«. Das sei für Spahn die Quittung, die Interessen der Nutzer nicht ausreichend beachtet zu haben. Außerdem fehle es dem Bundesgesundheitsminister grundsätzlich an einer Strategie für die Digitalisierung. Klein-Schmeink: »Er gleicht damit einem Koch, der ohne jegliches Rezept fröhlich immer weitere Zutaten in den Topf wirft.«

Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Berichterstatter für die Digitalisierung des Gesundheitswesens, E-Health und Telemedizin, Dirk Heidenblut, ist dem Justizministerium »sehr dankbar, dass nun gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium an einer rechtlich sauberen Lösung gearbeitet wird« und bis zum Herbst ein weiteres Gesetz entsteht. Schließlich hänge der Erfolg der EPA von der Akzeptanz der Patienten ab, so Heidenblut.

Die Linksfraktion sorgt sich mit Blick auf die beschleunigte Einführung von Apps, ob hier auch die Spreu vom Weizen getrennt wird. Außerdem befürchtet die Partei, IT-Firmen könnten »eine dauerhafte Goldgrube« in den neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen hierzulande sehen. Das Gesetz gleiche eher einer Wirtschafts- als der Gesundheitsförderung, heißt es. 

Das DVG soll im Januar 2020 in Kraft treten. Der Bundesrat muss nicht zustimmen. 

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