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Politik Ethik

„Im Zweifel für das Leben entscheiden"

Politikredakteur
Sven Lambert Sven Lambert
René Röspel: "Wir wollen Patientenverfügungen ein größeres Gewicht geben"
Quelle: AFP
Der SPD-Abgeordnete René Röspel will die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen einschränken und fordert Grenzen für die Selbstbestimmung. Er fürchtet, dass Kranke zu Geißeln ihrer niedergelegten Entscheidungen werden.

WELT ONLINE : Herr Röspel, obwohl Sie bereits einen Gesetzentwurf zu Patientenverfügungen vorgelegt hatten, haben Sie mit Abgeordneten aus anderen Fraktionen, darunter Wolfgang Bosbach von der Union, einen neuen Text geschrieben. Warum?

René Röspel : Wenn sich der Bundestag mit dem Thema befasst, sollte es nicht zu einem Gezerre um viele verschiedene Entwürfe kommen. Da meine Position grundsätzlich vereinbar ist mit der von Bosbach, wollten wir die politische Basis dafür verbreitern und haben zu einem Kompromiss gefunden, der eine klare Alternative bietet zum Entwurf meines SPD-Kollegen Joachim Stünker.

WELT ONLINE : Anders als in Ihrem ersten Entwurf billigen Sie nun auch Verfügungen zum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen bei Patienten im Wachkoma sowie mit schwerster Demenz Verbindlichkeit zu. Was ist der Grund?

Röspel : An sich sind Bosbach und ich der Auffassung, dass Wachkoma-Patienten und schwer Demente keine Sterbenden sind und ihr Leben bewahrt werden sollte. Aus Mehrheitsgründen aber und aus Respekt vor den Verfügungen, die es in dieser Hinsicht schon gibt, habe ich mich in Übereinstimmung mit Positionen der Evangelischen Kirche entschieden, dass es in solchen Fällen, wo das Bewusstsein nie wieder erlangt werden kann, möglich sein soll, einer Patientenverfügung nach Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht Folge zu leisten und lebenserhaltende Maßnahmen zu beenden.

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WELT ONLINE : Ansonsten halten Sie fest an der Reichweitenbegrenzung. Wie definieren Sie die?

Röspel : Wir wollen Patientenverfügungen ein größeres Gewicht geben. Aber Selbstbestimmung hat Grenzen. Niemand, auch der Stünker-Entwurf nicht, will etwa Patientenverfügungen befolgen, die Körperpflege verbieten oder Verbotenes wie aktive Sterbehilfe verlangen. Relativ gut können Ärzte, Betreuer und Angehörige einen vorab festgelegten Willen befolgen, wenn der Patient an einer unumkehrbar tödlich verlaufenden Krankheit leidet, und zwar nicht nur in der Sterbephase. Problematisch aber wird es, wo jemand, der nicht sterben muss, nur deshalb aus dem Leben scheidet, weil er keine medizinische Behandlung will. Da schreibt also jemand: „Wenn ich dement bin, möchte ich keine medizinische Behandlung.“ Wie soll der Arzt bei einer heilbaren Lungenentzündung eines Dementen mit so einer Verfügung umgehen, wenn diese grenzenlos gilt? Weil ich solche Fälle erlebt habe, bin ich zu der Meinung gekommen, dass der vorab verfügte Wille nicht mit dem in der akuten Situation gleichgesetzt, dass niemand zur Geisel seiner Verfügungen werden darf.

WELT ONLINE : Es gibt aber Verfügungen, die nicht irgendwelche Behandlungen bei Demenz ausschließen, sondern nur künstliche Ernährung. Sofern diese Patienten nicht dauerhaft bewusstlos sind, würde ihre Verfügung nicht umgesetzt.

Röspel : Nicht, wenn das zum Tode führen würde. Wobei sich Ärzte in diesem Fall durchaus an die Verfügung halten sollten. Aber was, wenn der Patient Speiseröhrenkrebs hat und eine Magensonde eine Erleichterung wäre? Läse der Arzt das Verbot der künstlichen Ernährung, müsste er den Patienten oral ernähren und quälen. Es gibt immer Fälle, die sich per Gesetz nicht exakt definieren und lösen lassen. Doch gerade diese Fälle – wozu überraschendes Erwachen aus einem Wachkoma gehört – lassen mich zu der Überzeugung kommen, dass man sich im Zweifel für das Leben entscheiden sollte.

WELT ONLINE : Sollte man nicht gerade wegen der Einzelfallabhängigkeit auf den Dialog aller Beteiligten setzen, statt per Reichweitenbegrenzung bestimmte Krankheiten und Situationen von vornherein auszuschließen? Auf den Dialog setzt doch auch Ihr Entwurf, wenn er ein Konsil fordert, wo Pflegekräfte, Angehörige, Betreuer und Ärzte beraten. Ist das nicht die bessere Kontrolle?

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Röspel : Das Konsil ist kein Kontrollgremium, es soll der Entscheidungsfindung eine breitere Grundlage geben. Unsicherheit wird bleiben. Deshalb darf man dem Konsil nicht die Entscheidung überlassen, ob Menschen, die nicht sterben, aus dem Leben scheiden.

WELT ONLINE : Wer noch einwilligungsfähig ist, kann jede Therapie verweigern. Doch sind einwilligungsfähige Patienten im Krankenhaus oft extrem nervös oder müde, geschwächt oder panisch – aber egal, ihr Wille gilt. Warum wollen Sie denn nicht den Willen jener Leute umsetzen, die vor zwei Jahren bei klarstem Bewusstsein in aller Ruhe verfügt haben, dass sie unter bestimmten Umständen keine Magensonde wollen?

Röspel : Ihr Beispiel zeigt doch, wie schwierig es um den Patientenwillen bestellt ist – warum soll er einfacher zu bestimmen und dauerhaft gültig sein, wenn die Krankheit mit all ihren Umständen noch gar nicht eingetreten ist? Wie soll ein Arzt mit einem zwei Jahre alten Willen umgehen, den ein Gesunder ohne Kenntnis der Krankheit verfasst hat? Kann ein Dementer nicht einen Lebenswillen haben, auch wenn der anders ist, als er sich das vorgestellt hatte?

WELT ONLINE : Maßt sich da die Politik nicht an, Patienten besser zu kennen als diese sich selbst?

Röspel : Der Einwand kommt oft, aber wir wollen doch gerade, dass man sich fragt: „Wie würdest Du, Patient, der Du nicht mehr mitteilungsfähig bist, nun selbst in dieser Deiner Lage entscheiden?“ Wir wollen die akute Situation des Patienten, seinen Lebenswillen berücksichtigen, statt nur auf dieses Papier zu starren.

WELT ONLINE : Laut Bundesverfassungsgericht muss die Ablehnung von Bluttransfusionen durch eine Zeugin Jehovas befolgt werden. Gesetzt, diese Frau sei nicht einwilligungsfähig, sie hätte in ihrer Verfügung Transfusionen verboten und solle nun, ohne im Wachkoma zu liegen oder sterbenskrank zu sein, zur Lebenserhaltung fremdes Blut bekommen: Laut Ihrem Entwurf ist die Verfügung der Frau nicht bindend.

Röspel: Wenn eine starke religiöse Bindung vorliegt, die das ganze Leben prägt, dann kann man davon sicher nicht absehen. Der Weg müsste dann über das Vormundschaftsgericht geöffnet werden.

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WELT ONLINE : Dann wäre dieses die Instanz, die über Leben und Tod entscheidet.

Röspel : Natürlich.

WELT ONLINE : Und dann kommen die Klagen durch alle Instanzen.

Röspel : Es wird bei diesem Thema immer schwierige Einzelfälle geben. Da führt dann kein Weg an den Gerichten vorbei. Wir sagen: Wenn der Tod an die Tür klopft, dann soll man aufmachen. Aber es geht nicht darum, den Tod herein zu holen, der eigentlich vorbei gehen würde. Anders gesagt: Sterbenden das Sterben ermöglichen und sie nicht an Apparate ketten, aber Lebenden nicht das Leben nehmen.

WELT ONLINE : Unterliegt es aber nicht oft dem Urteil des jeweiligen Arztes, ob der Tod schon an die Tür klopft?

Röspel : Zweifellos.

WELT ONLINE : Ist es insofern nicht eine Fiktion zu behaupten, man könne klare Grenzen für die Reichweite der Verbindlichkeit einer Verfügung setzen?

Röspel : Nein. In den meisten Fällen ist eindeutig feststellbar, ob eine Krankheit tödlich verläuft. Der fundamentale Unterschied ist doch, ob jemand sagt: „Ich will so nicht sterben, also lasst mich früher gehen“, oder: „Ich will so nicht leben, also gebt mir den Tod.“ Und man darf nicht vergessen: Sich einfach nur nach der Patientenverfügung zu richten, macht die Sache nicht etwa klarer, sondern viel schwieriger, viel verworrener. Sie haben einerseits den vorab definierten Willen in all seinen Unklarheiten und andererseits den Patienten in der konkreten Situation mit seinen Lebensregungen – und ganz oft lässt sich beides einfach nicht miteinander vereinbaren. Ich kann mich nicht damit abfinden, dass jemand stirbt, der nicht sterben muss. In unserer Rechtsordnung müssen wir uns im Zweifel für das Leben entscheiden.

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