Die Kassen strampeln mit den Beinchen wie Maikäfer, die auf dem Rücken liegen.« Ulrich Tilly, Ministerialrat im Gesundheitsministerium, lässt keinen Zweifel offen, dass ihm die Proteste der gesetzlichen Krankenkassen gegen die Gesundheitsreform lästig sind. Ebenso wie seiner Chefin Ulla Schmidt. Eine Botschaft, die Tilly seinen Zuhörern wieder und wieder zu vermitteln sucht. Vor ihm sitzen ein gutes Dutzend Hauptstadtjournalisten, ihm zur Seite zwei Fachreferenten und Pressesprecher Klaus Vater. BILD

Es ist ein Spätsommerabend in Berlin, es geht auf 20 Uhr zu. Im Ministerium ist Workshop-Time. Die Presse sitzt nach.

Seitdem die Große Koalition die Eckpunkte zur Gesundheitsreform verabschiedet hat, bereichern die Ministerialen aus dem Gesundheitsressort den journalistischen Alltag mit lernförderlichen Arrangements, die eher Managern oder Selbsthilfegruppen vorbehalten sind: den Workshops. Redakteure aus Nachrichtenagenturen, Tages- und Wochenzeitungen, Magazinen, Hörfunk und Fernsehen werden in die Friedrichstraße 108 gebeten. Statt der bei Seminaren üblichen Diskussion am Runden Tisch gibt es dort allerdings – bei Wasser und Kaffee – Frontalunterricht zur Gesundheitsreform.

Der Grund: Quer durch Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit werden die vage formulierten Eckpunkte zur Gesundheitsreform heftig kritisiert. Das liege kaum daran, dass das dem 56-seitigen Papier aufgedrückte Etikett »Reform« mehr verspreche, als der Text halte, will Sprecher Vater glauben machen. Sondern weitgehend daran, dass Journalisten aus verschiedenen Gründen jedes Thema »runterschreiben« könnten.

Um »wenigstens mangelnde Kenntnis« auszuschließen, organisiert der gelernte Agenturjournalist also Nachhilfe. Bis zu zwei Stunden dauert jede dieser Unterrichtseinheiten im Ministerium, die unter dem Motto »Alles richtig verstanden?« stehen. Stattfinden sollen sie so lange, bis klar sei, dass insbesondere der Ministerin Reformeifer darauf ziele, auch künftig »für jeden Bürger die bestmögliche medizinische Versorgung« zu sichern.

Am didaktischen Einmaleins für die ministeriale Lehrtätigkeit basteln externe PR-Berater mit. Beispielsweise die Frankfurter Agentur A&B One, die in der Hauptstadt ein Büro betreibt und empfiehlt, Themen »gezielt« zu lancieren, »Spielräume für spekulative Interpretationen« zu verengen und »argumentative Stoßrichtungen« zu vermitteln.

Eine ehrgeizige Medienstrategie gilt spätestens seit der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder als Geheimnis des politischen Erfolgs. Regieren mit Bild , BamS und Glotze: Um seine Botschaften zu vermitteln, setzte Schröder wie kein anderer auf die Massenmedien. Der Flirt mit dem Boulevard endete allerdings mit der Agenda 2010 und einer Serie von wenig schmeichelhaften Schlagzeilen.