Seit Jahren werden wir Ärzte von unserer eigentlichen Tätigkeit entfremdet und, unter anderem, zu Codierern umgeschult. Mit jeder Quartalsabrechnung werden die Diagnosen unserer Patienten in fünfstelligem, maschinenlesbarem Code über die Kassenärztlichen Vereinigungen an die kranken Kassen gemeldet, damit diese unsere Patienten in für sie (die Kassen) Gewinn bringende "Morbiditätsgruppen" einsortieren können - der Gesundheitsfonds macht's möglich.
Jetzt ist einigen Kassen aufgefallen, dass ihnen die gelieferten Diagnosen zu billig erscheinen, und sie fordern uns Ärzte diskret, aber mit einem Umschlag voller Bargeld, dazu auf, unbillige Diagnosen zu codieren. Eine Depression“ ist eben lukrativer als eine "psychische Verstimmung“. Im Handelsblatt vom 3.2.2009 heisst es beispielsweise:
Die AOK Niedersachsen hat dafür bereits 500 000 Euro gezahlt.
Die Deutsche BKK ist etwas weniger diskret. Sie fordert ultimativ dazu auf, Verordnungen und Diagnosen aus dem Jahr 2007 noch einmal zu überprüfen und erinnert drohend an „eventuelle Schwerigkeiten im Zusammenhang mit zukünftigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen“, die durch eine der Kasse unpassend erscheinende Diagnosecodierung auf die Mediziner zukommen könnten.
"Rightcoding" nennt man so etwas wohl im Neusprech, während das andere vielleicht "Anreizsystem" genannt wird?
Aber - könnte das freihändige Jonglieren mit Diagnosen vielleicht den Patienten schaden? Franz Knieps vom Bundesgesundheitsministerium beruhigt:
"Ja, das weiß man eben noch nicht. Entsprechende Sachverhalte haben wir nicht."
Wundert mich nicht. Erstens wissen die ohnehin selten, was tatsächlich passiert, und zweitens haben die Rightcoder ihr Werk ja auch gerade erst begonnen. Über die Folgen werden wir dann in einem halben Jahr "Sachverhalte haben". Vorsichtshalber pfeifen das Gesundheitsministerium und das BVA erst mal ganz laut in ihrem eigenen, sehr dunklen Wald.