Interessanterweise kommen die Festtagsredner und Rechtsanwälte zu völlig anderen Aussagen, als es die Realität des KostenReduzierungsMonsterGesetzes (KostRMoG; zumindest für Ärzte) zuläßt. Und Wettbewerb, unter marktwirtschaftlichen Bedingungen, wie es so oft gefordert wird, wird sogar explizit abgelehnt.
Letzte Woche im Bundestag (12.2.04)
Der Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - KostRMoG) wird mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
http://www.bundestag.de/plenargeschehen/pp/91/15091n.zip
Zum Nachlesen gibt es hier den Gesetzentwurf:
http://dip.bundestag.de/btd/15/019/1501971.pdf (240 Seiten, 2,85 MB)
Montag, 16. Februar 2004
Kostenrechtsmodernisierungsgesetz
Zitate daraus:
Das den heutigen Verhältnissen nicht mehr entsprechende Entschädigungsprinzip bei Sachverständigen soll durch ein neues leistungsgerechtes Vergütungsmodell ersetzt werden, das an dem Bild der selbstständig und hauptberuflich Tätigen orientiert ist. (S. 2)
Die Neustrukturierung des Vergütungsrechts wird für die Anwaltschaft zu einer angemessenen Erhöhung ihrer Einnahmen führen. (S. 3)
Für die Anwaltschaft. Aha. Wer sitzt eigentlich im Bundestag? Völlig zusammenhanglose Auszüge aus den zu Protokoll gegebenen Reden lassen aufhorchen:
Rechtsanwalt Christoph Strässer (SPD):
Was lange währt, wird endlich gut. Zehn Jahre sind vergangen, in denen die Entschädigungen für Sachverständige nicht mit der wirtschaftlichen Entwicklung Schritt gehalten haben.Eine echte Reform reagiert auf den Kostendruck der Länder . Es ist erfreulich, dass die Ergebnisse der Reform von allen Beteiligten begrüßt werden.
Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Fast alle sind sich einig und können mit dem Ergebnis leben. Seit zehn Jahren gab es keine Anpassungen mehr, obwohl Kosten und Gehälter sich erheblich verändert hatten. Die Vergütungen für Sachverständige werden maßvoll angehoben in Höhe der Kostensteigerungen seither etwa für Mieten und Gehälter mit jährlich circa 1,4 Prozent. Weiteres Hinausschieben war nicht zu verantworten. Deshalb waren Änderungen nicht mehr drin. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag möchte zum Beispiel die Vergütung der gerichtlichen Sachverständigen noch flexibler nach fortschreitenden Marktpreisen gestalten statt durch statische Zuordnung von Sachgebieten zu bestimmten Honorargruppen. Deshalb bleibt nur: Nicht mehr dran rühren, bloß nicht das Konsenspaket wieder öffnen.
Rechtsanwalt Andreas Schmidt (Mülheim) (CDU/CSU):
Seit zehn Jahren stagnieren die Vergütungsansprüche für Sachverständige . In diesen zehn Jahren sind die Lohnkosten, Mieten und Sachkosten drastisch gestiegen. In dieser zehnjährigen Vergütungsstagnationsphase verzeichnete die gewerbliche Wirtschaft einen Einkommenszuwachs in Höhe von 26 Prozent. Die Besonderheit und das Ethos der freien Berufe gründen in dem vom Staat übertragenen Aufgaben. Das gesetzlich geregelte Gebührenrecht für die freien Berufe, dient der Sicherung geordneter Verfahren, der Qualitätssicherung und damit den Verbraucherinteressen.
Na ja. Auch Anwälte sind schliesslich Verbraucher?
Rechtsanwalt Rainer Funke (FDP):
Ich erinnere daran, dass die letzte lineare Anpassung der Gebühren 1994 erfolgt ist. Alles in allem halten wir dieses Kostenrechtsmodernisierungsgesetz für gelungen und stimmen diesem Gesetz zu.
Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz (1980 zweite juristische Staatsprüfung):
Heute ist ein guter Tag für alle . Wir machen das Kosten- und Vergütungsrecht einfacher und transparenter, entlasten die Gerichte und vergüten die am Verfahren Beteiligten zeitgemäß. Die Erhöhung der Vergütung für Sachverständige trägt der wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung. Im Vergleich zum Einkommenszuwachs in der gewerblichen Wirtschaft ist dabei der im Entwurf vorgesehene Einkommenszuwachs eher moderat.
Ein guter Tag. Wie sehen die Honorarzuwächse denn genau aus?
Die Hohnorargruppen finden sich auf Seite 67: es gibt 10 Gruppen, von 1 (50 Euro / Stunde) bis 10 (95 Euro / Stunde).
Mediziner kriegen aber eine Extrawurst:
M1 (50 Euro / Stunde):
Für einfache gutachtliche Beurteilungen, insbesondere
- zur Minderung der Erwerbsfähigkeit nach einer Monoverletzung,
- zur Haft-, Verhandlungs- oder Vernehmungsfähigkeit,
- zur Verlängerung einer Betreuung.
zu dem Preis kann ich auch meine Musikinstrumente begutachten lassen)
M2 (60 Euro / Stunde):
Beschreibende (Ist-Zustands-) Begutachtung nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einfacher medizinischer Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad, insbesondere z.B.
Gutachten zur Minderung der Erwerbsfähigkeit und zur Invalidität,
zu einfachen Fragestellungen zur Schuldfähigkeit ohne besondere Schwierigkeiten der Persönlichkeitsdiagnostik,
zur Einrichtung einer Betreuung,
zu Unterhaltsstreitigkeiten auf Grund einer Erwerbs- oder Arbeitsunfähigkeit,
(zu dem Preis kann ich auch meine Altlasten, den Schmuck und die Juwelen, und meine Möbel begutachten lassen). Teurer werden da schon Kunst, Antiquitäten und Wassersportfahrzeuge, Kraftfahrzeug- und Unfallschäden (Gruppe 4 bis 7).
M3 (85 Euro / Stunde):
Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad (Begutachtungen spezieller Kausalzusammenhänge und/oder differenzialdiagnostischer Probleme und/oder Beurteilung der Prognose und/oder Beurteilung strittiger Kausalitätsfragen), insbesondere beispielsweise Gutachten
zur Schuldfähigkeit bei Schwierigkeiten der Persönlichkeitsdiagnostik,
in Verfahren zur Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung (in Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis zu neurologisch/psychologischen Fragestellungen)
zur Kriminalprognose,
zur Aussagetüchtigkeit,
zur Widerstandsfähigkeit,
in Unterbringungsverfahren,
in Verfahren nach § 1905 BGB,
in Verfahren zur Regelung von Sorge- oder Umgangsrechten,
zur Geschäfts-, Testier- oder Prozessfähigkeit,
oder einer Beurteilung der Schuldfähigkeit.
Das entspricht 8: Datenverarbeitung. Teurer sind nur noch Gutachten zu 9 (Betriebsunterbrechungsschäden) und 10 (Unternehmensbewertung).
Außerdem gibt es
für die Erstellung des schriftlichen Gutachtens 0,75 Euro je angefangene 1 000 Anschläge; ist die Zahl der Anschläge nicht bekannt, ist diese zu schätzen.
Dr. Alfred Möhrle, Vorsitzender des Ausschusses Gebührenordnung der Bundesärztekammer, sagte dazu (12.2.2004):
http://www.bundesaerztekammer.de/25/20040212/220402122.html
?Es spricht dem Aufwand und der Leistung ärztlicher Sachverständiger Hohn, wenn die Vergütung für medizinische Gutachten auf den Stand von 1994 eingefroren wird". Entschädigungen für medizinische Gutachten liegen derzeit durchschnittlich um etwa 53 Prozent unter den Entschädigungen anderer Berufsgruppen."
Die Bundesärztekammer fordert als Mindeststundensatz für medizinische Gutachten eine Gleichstellung mit Gutachten im Hochbau, Ingenieurwesen, Fahrzeugbau, graphischen Gewerbe, bei Kraftfahrzeugschäden und zur Kraftfahrzeugbewertung sowie bei Kraftfahrzeugunfallschäden. Maßstab für die Vergütung sollte die vom Bundesrat in der Verordnung zur Änderung der Berufskrankheitenverordnung beschlossene Höhe des Durchschnittshonorars für eine Arztstunde von 81,00 Euro sein.
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries bestätigte, dass "den medizinischen Sachverständigen () gegenwärtig eher vergleichsweise niedrige Stundensätze gewährt" werden. Trotzdem sollen die Kernleistungen der Sachverständigen, die Erstellung von Gutachten z.B. zur Beurteilung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit oder zur Haftfähigkeit, lediglich mit 50 Euro pro Stunde, nach den Empfehlungen des Bundesrates vom 09.12.2003 sogar nur mit 45 Euro pro Stunde vergütet werden.
Für die Masse ärztlicher Gutachten wird damit die Vergütung auf dem Stand von 1994 festgeschrieben.
Interessanterweise kommen die Festtagsredner und Rechtsanwälte also zu völlig anderen Aussagen, als es die Realität des KostenReduzierungsMonsterGesetzes (KostRMoG; zumindest für Ärzte) zuläßt. Und Wettbewerb, unter marktwirtschaftlichen Bedingungen, wie es so oft gefordert wird, wird sogar explizit abgelehnt. Wenn ich als Gutachter zum Wert dieser Aussagen befragt würde, müßte ich wohl verminderte Kritik- und Urteilsfähigkeit postulieren. Werde ich aber nicht.