Es ist mal wieder so weit. Die Sommerpause naht. Schnell noch einen Kübel Unrat über die Vertragsärzteschaft ausgießen und dann nichts wie weg. Späte Rache für das hier, vielleicht? Der Schuss geht leider nach hinten los - keiner nimmt dich noch ernst.
Seit den letzten Sommerferien genoss ich so etwas wie "The joys of being at the front end of a shit system". Interessantes Konzept: der Arzt als Frontend für eine besch****ne Sozialpolitik.
Da kamen Leute zu mir, die hatten Angst, Ihren Job zu verlieren. Es kamen welche, die hatten Angst, keinen Job mehr zu finden. Andere hatten die Hoffnung längst aufgegeben und resignierten, in leichten Alkoholdunst gehüllt. Wieder andere kämpften verbissen um Anerkennung und um ihre Ehre. Manche machten ihren Job und wurden krank daran, weil der Job Dinge von ihnen verlangte, die sie mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren konnten. Etwa, Leute zu feuern, die Angst davor hatten, ihren Job zu verlieren. Oder Leute zu verarschen, die verbissen um Anerkennung und Ehre kämpften.
So etwas macht krank. Ich nehme an, Sie kennen das.
Dann gab es natürlich noch eine Menge Leute, die sich, unabhängig von der gesamtgesellschaftlichen Situation, irgendeine fiese Krankheit einfingen. Den meisten geht es mittlerweile wieder besser, einige haben sich nicht mehr blicken lassen, anderen geht es zwar nicht besser, aber sie können jetzt besser damit umgehen. Womit einige von ihnen nicht gut umgehen können: dass sie jedes Mal, wenn sie in die Apotheke gehen, eine andere Packung in die Finger gedrückt kriegen mit dem Hinweis, es gebe da solche Rabattverträge und die würden sich permanent ändern. Mittlerweile habe ich darauf überhaupt keinen Einfluß mehr, und wenn ich den via non aut idem nehmen möchte, heißt es lapidar: ist zurzeit nicht lieferbar.
Wenn man sich dann mit so einer fiesen Krankheit an seine kranke Kasse wendet, um - beispielsweise - in eine psychosomatische Fachklinik zu fahren, dann hört man nicht selten: Ist nicht. Weil - beispielsweise - die ambulante Behandlung noch nicht ausgeschöpft ist. Oder, weil ein anderer Kostenträger zuständig sein könnte und man das erst monatelang prüfen müsse. Im Grunde könnte mir das wiederum ziemlich egal sein. Ich darf aber Stellungnahmen dazu verfassen, die dann von einem Sesselakrobaten für nichtig erklärt werden, so dass ich eine zweite, dritte Stellungnahme dazu loslassen darf. Und wenn "die Maßnahme" schließlich widerwillig genehmigt wird, darf monatelang auf einen Aufnahmetermin gewartet werden.
Die Arbeitsagentur möchte wissen, welche Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt besteht. Die DRV möchte wissen, ob die Einschränkungen der Leistungsfähigkeit denn noch fortbestehen. Die Versorgungsverwaltung möchte wissen, ob sich in den letzten zwei Jahren etwas an der Teilhabefähigkeit geändert hat. Der Landschaftsverband möchte mindestens einmal im Jahr wissen, ob die chronische Krankheit immer noch chronisch ist. Das Wohnheim möchte ein Attest für den Landschaftsverband. Die kranke Kasse möchte wissen, wie lange noch Arbeitsunfähigkeit besteht. Die private Krankenversicherung möchte wissen, wie denn die Prognose sei. Die Arge möchte wissen, ob denn eine Krankheit überhaupt vorliege. Das Sozialamt möchte wissen, ob ein Umzug in eine 3 Quadratmeter kleinere Wohnung zumutbar sei. Der Auftragsgutachter wischt meine Argumente vom Tisch, erklärt den Probanden für vollschichtig leistungsfähig und initiiert eine neue Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für das Sozialgericht.
Womit wir beim Thema wären. Seit meiner letzten Eingabe habe ich noch nichts von denen gehört. Gut, dass wenigstens die Fatwa vom Tisch ist. Jedenfalls für 2005.
Was war noch?
Das Bündnis gegen Depression Wuppertal lebt noch. Wir haben sogar einen brandneuen Flyer. Das Wuppernetz Psychiatrie lebt auch noch. Wir interessieren uns neuerdings für überörtliche, sektorübergreifende Gemeinschaften. Die Freie Ärzteschaft lebt und kämpft weiter gegen die Industrialisierung der Medizin. Und gegen technokratische Omnipotenzphantasien.
Für mich war's das erst mal.
Ich bin dann mal weg.