Kulturkrise im Gesundheitswesen
Was die Ärzte, die in der Klinik oder ambulant tätig sind, zum Protest treibt, ist die zunehmende Fremdbestimmung ihrer Aufgabe, Menschen zu helfen. Es geht nicht nur um das Honorar: wussten Sie, dass das so genannte Ärztehonorar, das die gesetzlichen Kassen ambulant gewähren, gerade dazu reicht, die Patienten zu verwalten und die notwendigsten technischen Untersuchungen durchzuführen?
Der Patient zahlt Kassenbeiträge, um verwaltet zu werden, den Arzt zahlt er nicht.
Wir stecken mitten in einer Kulturkrise. Wir betreiben eine Gesellschaftspolitik der Entleiblichung, – anders ausgedrückt – der Verdinglichung. Die Bürokratisierung ist Ausdruck dieser Verdinglichung zwischenmenschlicher Beziehung, Werden wir dem Bürger, dem Souverän sich selbst wieder geben, oder werden wir uns von Gesundheitspolitiker bestimmen lassen?
Die Entfremdung des Menschen wird noch katastrophaler, wenn der Mensch reduktionistischen staatlichen Gesundheitsprogrammen unterworfen wird, in der der Mensch als Leibsubjekt nicht mehr erkennbar ist. In Gesundheitsprogrammen wurden ganze Bevölkerungsgruppen (Diabetes mellitus) zusammengefasst, um sie einheitlich nach Standardkriterien zu behandeln. Ärzte braucht man für die Durchführung solcher Programme kaum.
Wir sind Manager von Krankheiten geworden, Krankheiten sind operationabel. Deshalb entscheiden heute Bürokraten und Betriebswissenschaftler über die Gesundheitsbürokratie. Der Mensch wird zum Objekt staatlicher Gesundheitsbürokratie. Sie übt dabei Herrschaft aus über die Menschen und verletzt die Würde des Menschen.
Heutige Gesundheitspolitik ist zu einer Gefahr für den Menschen geworden.
Den Arzt bedroht sie, weil sie ihn durch Budgetierung und Reglementierung zum Heiltechnokraten degradiert, ihn seiner Berufung und seiner Aufgabe beraubt. Den Patienten, weil er ihm die Krankheit wegnimmt, die auch Aufgabe und Weg für ihn ist. Sie entfremdet die Menschen voneinander, da sie massiv Einfluss gewinnt im Arzt-Patienten-Verhältnis und hier Misstrauen sät. Ärzte sind keine Leistungserbringer und Krankheiten keine Ware. Der Rationalismus dieser Gesundheitspolitik gaukelt dem Menschen vor, dass Gesundheit herstellbar und bezahlbar sei und entfernt den Patienten von seiner eigenen Verantwortung für sein Leben.
Der Wohlfahrtsstaat mit seinem Gesundheitswesen wurde zu einem neuen Heilsweg für die Menschen, um ihn am Ende doch zu betrügen, weil die Mächtigen, weil die Bürokratie, weil unsere Wissenschaft keine Antwort auf die großen Fragen hat: Wer bin ich, warum bin ich, wohin gehe ich. Weil sie den Menschen nicht sich selbst gibt. Gesundheitsökonomen sind die neuen Propheten dieser Heilsprophetie.
:: Dr. Peter Wöhrlin :: Die Krise im Gesundheitswesen eine Krise unserer Kultur. Neurotransmitter 9/2006: 22
Kommentare
Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt