Was sind Plazeboeffekte? Oder: Der Glaube versetzt Berge....
In klinischen Studien wird getestet, ob Behandlungen (Medikamente) einen spezifischen Zweck erfüllen. Um unspezifische Effekte herauszurechnen, vergleicht man ihre Wirkung mit der von Plazebo ("unwirksamen" Stoffen oder Behandlungen) und/oder mit der eines älteren Medikaments/einer anderen Behandlung. Oft stellt sich heraus, daß auch Plazebo eine positive Wirkung hat, und daß die Wirkung der untersuchten Behandlung nur geringfügig oder gar nicht besser scheint (eigentlich müßte man Behandlung und Plazebobehandlung noch mit einer unbehandelten Kontrollgruppe vergleichen, aber dieses Vorgehen verbietet sich in vielen Fällen aus ethischen Gründen).
Freitag, 23. Januar 2004
Alles Placebo oder was?
Im Jahr 2000 wurden 96 Studien (mit 23.000 Patienten) zur Behandlung mit modernen Antidepressiva analysiert.
Durch die Behandlung mit neueren Antidepressiva ging es 40,7% der Patienten besser, mit Vergleichspräparaten 41,7% und mit Plazebo 30,9%. Schon 1991 wurde eine durchschnittliche Plazebowirkung von 30-40% festgestellt. Unter Praxisbedingungen (Allgemein-, Hausarzt und Psychiater) hingegen ließ sich eine Therapiewirkung (Vollremission der depressiven Symptomatik) immerhin bei über 80% der behandelten Patienten nachweisen.
In den letzten Jahren scheint der Anteil der Plazebowirkung in Antidepressivastudien zu steigen. Wie kommt das?
Die Studien sind in den letzten Jahren aufwändiger geworden, die Aufmerksamkeit, die den Patienten durch diesen Aufwand gewidmet wird, und die dadurch geweckten Erwartungen an die Wirksamkeit der Studienbehandlung, dürften deutlich gestiegen sein. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Patienten, die dadurch induzierten Hoffnungen auf Besserung, der Gesamtaufwand der Studien, die ein Vielfaches dessen übersteigt, was in Praxis oder Ambulanz möglich ist, macht es dem "Verum" immer schwieriger, seine Wirksamkeit zu beweisen.
Angsterkrankungen sind ein gutes Beispiel für den komplizierten Plazeboeffekt:
die meisten dieser Erkrankungen werden sehr spät - wenn überhaupt - diagnostiziert. Viele Patienten fühlen sich unverstanden und werden erst im Rahmen einer Studie intensiv aufgeklärt. Durch den umfassenden zeitlichen und personellen Einsatz während einer klinischen Studie fühlen sie sich gut aufgehoben und verstanden. Suggestiv- und Erwartungseffekte hinsichtlich der geprüften Medikation werden mobilisiert. Intensive Untersuchungen, wöchentliche Kontrolltermine, und umfangreiche/zahlreiche Fragebögen ermöglichen eine differenzierte Auseinandersetzung des Patienten mit seinem Störungsbild. Engagement, Enthusiasmus und Einsatzbereitschaft der behandelnden Ärzte und ihre Überzeugung von der prinzipiellen Wirksamkeit der medikamentösen Behandlung sind möglicherweise entscheidend.
Schon lange wird diskutiert, daß unspezifische Effekte der Kern verschiedener Behandlungsformen seien: starke emotionale Beziehung zwischen Therapeut und Patient.
Auf der Basis von Vertrauen wird Hoffnung möglich. Ein gemeinsamer Mythos, der gemeinsame Sprache und Verständigungsmöglichkeit stiftet, hilft erklären, warum und wie Leid und Krankheit entstehen und wie sie zu heilen sind (beim Schamanen auf spiritistischer, beim Arzt auf wissenschaftlicher Basis). Therapeutische Maßnahmen, die den für den Patienten besten Mythos anbieten, verbessern dabei die Wirkung einer Behandlung. Der Mythos muß dabei nicht unbedingt der wahre, sondern der für den Patienten geeignete sein.
Insignien der therapeutischen Kraft:
Ärzte und Psychotherapeuten sind durch eines der anspruchsvollsten Ausbildungssysteme unserer Gesellschaft gegangen, sie haben zahllose Initiationsriten hinter sich und haben durch Titel, Berufsbezeichnung und gesellschaftliche Position den Ruf des therapeutisch Mächtigen.
Einleuchtendes therapeutisches Ritual:
Der Arzt untersucht, er verschreibt etwas und gibt Medizin aus. Dieses Ritual muß für den Patienten einleuchtend sein und ihn einbeziehen. Das bloße Verteilen von Medikamenten wirkt schwächer als ein komplexes Ritual, wie zum Beispiel der lange Anfahrtsweg und eine teure Konsultation bei einem Spezialisten, inklusive komplizierter Anweisungen.
Viele gezielte Behandlungsverfahren sind nur deshalb wirksam, weil durch ihren Einsatz viele unspezifische Effekte mobilisiert werden: bei den Patienten wird die Erwartung geweckt, daß sie von der Behandlung profitieren.
Die unspezifische Wirkung einer Behandlung kann dabei nur zustande kommen, weil eine spezifische Therapietheorie dem Arzt und Therapeuten aufgrund der spezifischen Wirkung in seinem Handeln Sicherheit vermittelt. Ob diese spezifische Wirkung tatsächlich vorliegt oder nur im Kopf des Therapeuten vorhanden ist, ist für die unspezifischen Effekte unerheblich.
Quelle:
Walach H, Sadaghiani C: Plazeboeffekt. (NeuroTransmitter 2/2003: 74)
Boerner R J: Das Problem der Plazeboresponse in Forschung und Therapie. (NeuroTransmitter 9/2003: 54)