Liebe Politiker:
Wagen Sie mehr Freiheit. Lösen Sie sich von wahltaktischen Erwägungen. Erinnern Sie sich an den Eid, den Sie auf die Verfassung geleistet haben. Vertrauen Sie den Menschen, die die Sicherheit produzieren, die Sie der Gesellschaft versprechen. Eröffnen Sie den Menschen, denen Sie diese Sicherheit versprechen, wo das Sicherheitsversprechen endet, weil es nicht mehr bezahlbar ist. Lösen Sie sich von der Vorstellung, alles sei plan- und machbar. Hüten Sie sich vor Funktionären
Sonntag, 17. September 2006
Wie sollte eine praxisorientierte Gesundheitsreform aussehen?
Eine praxisorientierte Gesundheitsreform sollte sich auch an praktischen Gesichtspunkten orientieren. Zukünftige Planungen müssen das objektive Fachwissen derjenigen, die Gesundheit produzieren, stärker berücksichtigen als das scheinbare Fachwissen derjenigen, die Gesundheitsdienstleistungen lediglich verwalten. Die zukünftigen Herausforderungen müssen in einem öffentlichen Diskurs klarer definiert werden, für die absehbaren Probleme müssen unabhängig von wahltaktischen Erwägungen nachhaltige Lösungen gefunden werden.
Effizienzsteigerungen sind auf zwei Ebenen erreichbar. Auf der Makroebene ist eine Abkehr von zentralistischen, planwirtschaftlich ausgerichteten Entscheidungsprozessen zu fordern, um die enormen, inneren Reibungsverluste durch aufgeblähte Verwaltungen und durch halbstaatliche, demokratisch nur unzureichend legitimierte Institutionen zu minimieren. Auf der Prozessebene lässt sich die Effizienz durch Lösung der Schnittstellenprobleme steigern: dazu ist die Aufhebung der sektoralen Budgetierung und die Förderung regionaler, integrativer Versorgungsmodelle mit Budgetverantwortung notwendig. Ergänzend dazu sind verbesserte Anreizsysteme auch auf der Nachfrageseite erforderlich, um ein Kostenbewusstsein zu ermöglichen.
Die Effizienzreserven bei der Produktion von Gesundheitsdienstleistungen sind unter den gegenwärtigen Bedingungen nahezu ausgeschöpft, wie u.a. die Streiks der Krankenhausärzte und die Proteste der niedergelassenen Ärzte zeigen. Einzig die Lösung der Schnittstellenproblematik dürfte noch zur Erschließung von Effizienzreserven beitragen. Die Bewältigung aufgeblähter Verwaltungsakte stellt mit rund 40% der Arbeitsleistung das größte Produktivitätshindernis und den am schnellsten wachsenden Kostenfaktor dar. Der Abbau des bürokratischen Wasserkopfes dürfte daher zu einer enormen Produktivitätssteigerung führen.
Ein Systemwechsel in der Krankenversicherung ist längst überfällig. Das seit rund 120 Jahren bestehende Sachleistungssystem ist nicht mehr zeitgemäß. Es setzt falsche Anreizstrukturen sowohl für Anbieter, als auch für Nachfrager von Gesundheitsdienstleistungen. Die jetzt zur Diskussion gestellten Eckpunkte weisen zwar auf einen geplanten Systemwechsel hin, der aber in die falsche Richtung geht: mehr Staat, mehr Planwirtschaft, mehr Verwaltung, weniger Freiheit, weniger Eigenverantwortung. Es wäre effizienter, wenn der Staat lediglich die Rahmenbedingungen für ein gerechtes, solidarisches, nachhaltiges und leistungsfähiges Gesundheitssystem festlegen würde und die Ausgestaltung der Prozessebene den Marktteilnehmern überließe, statt in die Prozesse selbst einzugreifen.
Wettbewerb wird zwar von politischer Seite beschworen, gleichzeitig aber durch Regulierung und Reglementierung blockiert. Wettbewerb ist nur auf der Grundlage einer auf sozialer Marktwirtschaft basierenden Gesundheitspolitik möglich, aber nicht unter planwirtschaftlichen, an sozialistische Strukturen erinnernden Bedingungen.
Die Bearbeitung verwaltungstechnisch (nicht medizinisch) relevanter Abläufe nimmt, wie bereits erwähnt, etwa 40% der Produktivität in Anspruch, so dass nur die grundlegende Abkehr von der Verwaltung von Gesundheitsdienstleistungen, hin zur Ausführung derselben, Abhilfe verspricht. Beispielsweise sollten Regelungen zur Beschaffung von Formularen, mit denen weitere Formulare angefordert werden dürfen (sofern ein drittes Formular, mit dem die Berechtigung zur Anforderung nachgewiesen wird, vorliegt – wie bei der Verordnung von medizinischer Rehabilitation) ersatzlos gestrichen werden.
Die Reformbemühungen der letzten 30 Jahre waren weder effektiv, noch waren sie effizient. Mit jeder Reform nahmen dirigistische, zentralistische Einflüsse zu, freiheitliche, soziale und marktwirtschaftliche Elemente wurden weitgehend abgebaut. Es ist Zeit für eine Weichenstellung in Richtung Freiheit, Eigenverantwortung und Transparenz.
Ist der Wunsch der Patienten nach umfassender ärztlicher Fürsorge heute noch erfüllbar? Das hängt davon ab, wie der Begriff „umfassende ärztliche Fürsorge“ definiert wird. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, diesen Begriff mit Leben zu füllen. Zweifelsfrei muss existenziellen Risiken auch künftig mit „umfassender ärztlicher Fürsorge“ begegnet werden, so dass ein Patient im Falle einer schweren Erkrankung adäquate Hilfe erfährt, ohne dabei wirtschaftlich ruiniert zu werden. Es ist wiederum eine gesellschaftliche Aufgabe, zu definieren, welche existenziellen Risiken durch die Solidargemeinschaft „versichert“ werden, und gegen welche (weniger existenziellen) Risiken sich jeder Einzelne, notfalls mit staatlicher Unterstützung, selbst absichern muss.