Ursprünglich handelte es sich bei der "Kopfpauschale" um die jährliche Pauschalzahlung einer Krankenkasse, die fast die gesamte kurative ambulante ärztliche Behandlung eines Versicherten abdeckt und nach § 85 SGB V "mit befreiender Wirkung" an eine Kassenärztliche Vereinigung geleistet wird.
Egal. "Kopfpauschale" liegt ohnehin semantisch in der unerwünschten Nachbarschaft von "Kopfgeld", da benutzt man als buzzword doch lieber das viel schönere Wort "Gesundheitsprämie".
Gesundheitsminister Rösler (FDP) will also von den Zwangsmitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen, zumindest spekulativ und zusätzlich zu ihren Kassenbeiträgen, eine einkommensunabhängige Pauschale von voraussichtlich 29 Euro kassieren lassen.
Darüber ist heftiger Streit ausgebrochen. Eine Art gesundheitspolitischer Irakkrieg, sozusagen.
Private Kassen (es heißt "Versicherungen") lehnen die Kopfpauschale ab. Herr Rebscher, Vorstandschef der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK), hält die Kopfpauschale für nicht finanzierbar. Norbert Blüm (CDU) ist ebenfalls ein strikter Gegner der von der FDP geforderten Kopfpauschale.
Einschub: von der FDP gefordert? Die wollen gar keine Kopfpauschale. Frau Merkel (CDU) schon: die sah schon 2003 den Schlüssel zur Verwaltung des kollektiven Mangels in einem Prämienmodell.
Herr Gabriel (SPD) bezeichnet die Kopfpauschale als Angriff auf den Sozialstaat. Sein Genosse Lauterbach (der mit dem Intellekt von der Größe eines Planeten) hält die Kopfpauschale für politisch nicht durchsetzbar, womit sich die SPD schamvoll von sich selbst distanziert. Frau Buntenbach (DGB) hält das Teil für sehr ungerecht und unsozial, während "die Wirtschaft", namentlich Herr Hundt, dem gegenüber eine solidarische Gesundheitsprämie durchaus liebevoll ins Auge fasst. Gefolgt von Herrn Klusen, Techniker Krankenkasse. Während Bayerns Gesundheitsminister Söder (CSU) wiederum ein ganz eigenes Reformkonzept hat.
Alles Phrasendrescher.
In Wirklichkeit geht es nicht darum, wie man am besten die Krankenversorgung finanziert. Es geht darum, wie man am besten die nächsten Wahlen gewinnt, oder darum, wie man am besten seinen schönen Posten behält.
Samstag, 27. März 2010
Kopfgesundheitspauschalprämie
Donnerstag, 4. März 2010
SPD fordert Abschaffung der Zusatzbeiträge
Die SPD fordert eine Abschaffung der Zusatzbeiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Arbeitnehmer dürften nicht weiter einseitig belastet werden, sagte der SPD-Politiker Karl Lauterbach am Donnerstag im Bundestag.
Wer hat die Zusatzbeiträge eigentlich erfunden, Herr Lauterbach? Die SPD hatte damit überhaupt rein gar nichts zu tun? Sie wollen Ihre Hände in Unschuld waschen?
Faule Ausreden. Mitgefangen, mitgehangen.
Sonntag, 31. Januar 2010
Ich kann es nicht. Wählt mich ab. (13)
Der öffentliche Schlagabtausch um die von einigen Krankenkassen demnächst zu erhebenden Zusatzbeiträge nimmt mittlerweile groteske Formen an:
Gesundheitsminister Rösler (FDP) hält Zusatzbeiträge in der jetzigen Form für unsozial, während Spahn (CDU) das Gegenteil behauptet, Seehofer (CSU) jedoch die Zusatzbeiträge als „nicht akzeptabel“ bezeichnet. Die Grünen machen die Bundeskanzlerin, Frau Merkel (CDU), für diese Zusatzbeiträge verantwortlich, die ihrerseits schnell die Krankenkassen rügt und das Kartellamt einschaltet. Und Steinmeier (SPD) versucht sich völlig aus der Verantwortung zu stehlen und die Schuld flugs Rösler in die Schuhe zu schieben.
Wie nennt man so etwas? Scheinheilig? Heuchlerisch? Desinformation? Wer hat den Gesundheitsfonds eigentlich damals erfunden? War das nicht die große Koalition aus SPD und CDU? Nein, es muss Rösler gewesen sein, denn, so Frau Nahles (SPD): "Zusatzbeiträge hat es bei Ulla Schmidt nicht gegeben. Das sind die Zusatzbeiträge von Herrn Rösler." Alles klar.
Die machen ihren Job derzeit nicht besonders gut. Wenn die so weiter machen, kriegt unser Gesundheitssystem wirklich noch einen Kollaps. Der soziale Frieden ist gefährdet, es droht sogar eine Rentner-Revolte, falls die Renten gepfändet werden sollten.
Und wer hat nun die ganze Misere zu verantworten? Die Hausärzte in Nordrhein mit ihren Selektionsverträgen (die im übrigen auch politisch gewollt sind, womit sich der Kreis wieder schließt).
Affentheater.
Samstag, 30. Januar 2010
Ich kann es nicht. Wählt mich ab. (12)
Die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Dreyer (SPD) will keine Senkung der Mehrwertsteuer für Medikamente. Sie möchte lieber "bei den Strukturen schauen, bei den Kassen", "die Ausgabenseite des Gesundheitswesens wieder einigermaßen in den Griff bekommen".
Zumal seit Monaten klar sei, dass wir gerade im Arzneimittelbereich erhebliche Ausgabensteigerungen hätten, und da dürfe man natürlich nicht zuschauen als Bundesgesundheitsminister.
Richtig, Frau Dreyer. Wenden Sie sich an Ihre Parteigenossin, die Frau Schmidt. Die hatte genügend Zeit für entsprechende Taten.
Wie begründen Sie eigentlich ihren Wunsch, die Mehrwertsteuer für Medikamente lieber nicht zu senken? Andere sehen das nämlich ganz anders:
Sozialverband will Ausgleich für Kassen-Zusatzbeiträge - sueddeutsche.de
... fordert der Sozialverband VdK eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Medikamente. 2,4 Milliarden Euro ließen sich allein durch eine verringerte Mehrwertsteuer von 7 Prozent sparen ...
Neue Zusatzbeiträge: DAK bittet Versicherte ab Februar zur Kasse - SPIEGEL ONLINE
Würde die Mehrwertsteuer analog zur umstrittenen Absenkung der Steuer in der Hotelbranche gesenkt, brächte dies 2,4 Milliarden Euro, sagte sie (Pfeiffer, SpiBu).
PHOENIX Pressemitteilung: Krankenkassen-Verband kritisiert Preisgestaltung für Medikamente
... auch bei Schnittblumen und Hundefutter ist es so, dass nur die halbe Mehrwertsteuer erhoben wird (nochmal Pfeiffer).
Lang (ein Ersatzkassenverbandschef) fordert, (...) die Mehrwertsteuer auf Medikamente von derzeit 19 Prozent ähnlich wie bei Hotelübernachtungen zu senken. Dadurch könnten die Ausgaben der gesetzlichen Kassen um 4,5 Milliarden Euro gesenkt werden.
Forschende Pharmaunternehmen sehen Arzneimittelpreise stabil
(Forschende Arzneimittelhersteller geben) zu bedenken, dass Medikamente in Deutschland dem vollen Mehrwertsteuersatz unterliegen, während in fast allen anderen europäischen Staaten eine ermäßigte oder gar keine Mehrwertsteuer auf Medikamente erhoben wird.
APOTHEKE ADHOC -- Bund soll Mehrwertsteuer tragen
... sollte für diesen Bereich der Gesundheitsversorgung zumindest nur der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gelten (Frau Bunge, Die Linke).
FREIES WORT | Ausgaben für Arzneimittel in Thüringen explodieren
(Die Techniker Krankenkasse) bezeichnete dies als absurde Situation und verlangte erneut die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Arzneien auf sieben Prozent.
Sogar Ihre eigenen Parteigenossen, Frau Dreyer, wollen die Mehrwertsteuer auf Medikamente senken:
openPR.de - „Kleine Kopfpauschale“ ist ungerecht und unsozial - SPD Hessen-Süd kritisiert Zuzahlungen von Krankenkassen
Ein weiteres Mittel die Kosten zu senken, sei die Senkung der Mehrwertsteuer für Medikamente von 19 auf 7 Prozent.
Also gut. Frau Dreyer kann zwar ihren Wunsch irgendwie nicht näher erläutern. Die anderen machen es aber auch nicht viel besser: immerhin schwanken die genannten Zahlen zwischen 2,4 und 4,5 Milliarden Euro. Keine besonders valide Schätzung...
Das Thema wird uns wohl noch eine Weile erheitern.
Montag, 18. Januar 2010
Die große Nachfragemacht der Patienten
Gesundheitsminister Rösler setzt sich für die Einführung der Kostenerstattung an Stelle des maroden Sachleistungssystems ein:
"Wir müssen stärker wegkommen vom Prinzip der Sachleistungen und hinkommen zur Kostenerstattung", sagte Rösler auf dem Neujahrsempfang der FDP-Fraktion im niedersächsischen Landtag.
Viel Glück bei der Umsetzung! Dann ist auch die Rationierungsdebatte vom Tisch.
Sonntag, 17. Januar 2010
Die unheimliche Rationierungsdebatte
In der FAZ klagte Ärztekammerpräsident Hoppe heute: "Im deutschen Gesundheitswesen wird heimlich rationiert, weil nicht genügend Geld zur Verfügung steht, um allen Menschen die optimale Therapie zu verschaffen". Die Betonung liegt auf heimlich, denn der Patient erfährt es ja nicht.
Frau Bunge, Diplom-Lehrerin Marxismus-Leninismus, möchte lieber nicht über Rationierungen von Medikamenten und medizinischen Leistungen nachdenken. Minister Rösler ließ über eine Ministeriumssprecherin wissen, eine solche Debatte oder gar Entscheidung über die Priorisierung in der Arzneimittelversorgung sei nicht Aufgabe des Ministeriums. Und die Krankenkassen wollen, dass auch künftig alles, was medizinisch notwendig ist, finanziert wird (fragt sich nur, was sie für notwendig halten und wer das letztlich entscheidet).
Warum ist ihnen das Thema so peinlich? Weil sie sich gern weiter hinter pseudoharmonischen Begrifflichkeiten wie "Rationalisierung", "Hebung von Effizienzreserven", "Gerechtigkeit" verstecken möchten? Weil die unausweichliche Konfrontation mit der Wirklichkeit schmerzhafte Verluste an Wählerstimmen nach sich ziehen könnte?
Eine heimliche, verdeckte Rationierung, die sich im wesentlichen aus Budgetfolgen nährt und sowohl die Entscheidungskriterien (Zufallsentscheidungen, Gleichheitsforderungen, Dringlichkeit, prognostische Erwägungen, Wartezeit, sozialer und familiärer Status oder Nützlichkeits-Überlegungen), die Verantwortungsebenen, als auch den Rationierungstatbestand als solchen intransparent lässt, muss einem gesellschaftlichen Diskurs weichen. Verdeckte Rationierung, über das Instrument der barmherzigen Lüge (konsentierte Verteilungsmechanismen erfolgen heimlich, die Leistungsbegrenzungen werden mit vorgeschobenen Fakten, wie z. B. Risiko, Wirkungslosigkeit usw. begründet) kaschiert, kann nur auf den ersten Blick sozial verträglich sein.
Bürokratisch-korporatistische Rationierung im Deutschen Gesundheitswesen - System der „barmherzigen Lüge“?
Dann lügt euch mal schön weiter in die Tasche.
Mittwoch, 11. November 2009
Unverbindlichkeiten und Plattitüden
"Festhalten wollen am Gesundheitsfonds und die huldvolle Zusicherung, über Wettbewerb und Transparenz weiter sprechen zu wollen - das ist alarmierend und katastrophal wenig zum Thema Gesundheitspolitik!" Für Martin Grauduszus, den Präsidenten der 'Freien Ärzteschaft' (FÄ), stellt sich die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel "gleichermaßen als Affront und Brüskierung von Ärzten, Patienten und Versicherten dar."
Weniger als zwei Minuten zur Gesundheitspolitik ihrer knapp einstündigen Erklärung hätten nicht einmal Zeit geboten "für ein paar weitere Unverbindlichkeiten und Plattitüden", ironisiert der FÄ-Präsident, der zumindest die Auflistung der gesundheitspolitischen Eckpunkte aus der Koalitionsvereinbarung in Merkels Erklärung erwartet hätte.
Freitag, 30. Oktober 2009
Unsachgemäße Reformen
facharzt.de [ Kassen: Millionen Beitrags-Ausfall durch Reform ]
Säumige Beitragszahler schulden den 184 gesetzlichen Krankenkassen rund 630 Millionen Euro. Dies geht aus einem Papier des GKV-Spitzenverbandes hervor, das der Deutschen Presse-Agentur am Freitag in Berlin vorlag. Die Beitragsausfälle sind zwischen dem 1. April 2007 und dem 31. März 2009 entstanden.
Aus Sicht ihres Verbandes ist der von Union und SPD eingeführte „Versicherungsschutz für alle“ zwar politisch begrüßenswert. Die Inkassoproblematik und die Beitragssrückstände zeigten aber eine „unsachgemäße Lastverschiebung“ in die GKV. Diese Lasten sollte, so die Forderung an die neue schwarz-gelbe Regierung, der Bund als gesamtgesellschaftliche Aufgabe übernehmen
Noch ein Beispiel für die unsachgemäße (was für ein Wort!) Gesundheitspolitik der letzten Jahre. Oder, was fast noch schlimmer wäre, Frau S. und ihre Helfershelfer haben dieses Problem billigend in Kauf genommen.
Ach ja, und an die Adresse der Kassen:
Hört endlich auf mit diesen überzogenen Forderungen an die Solidargemeinschaft. Damit wollt ihr doch nur euer Marketing finanzieren. Wellnessreisen und so.
Sonntag, 18. Oktober 2009
Forderungskatalog der Ärzteschaft an die zukünftige Bundesregierung - Unterschriftenaktion
Forderungskatalog der Ärzteschaft an die zukünftige Bundesregierung - Unterschriftenaktion
Die medizinische Versorgung der deutschen Bevölkerung ist auf keinem guten Weg! Die Situation der Arztpraxen in Deutschland – und damit auch die Patientenversorgung – ist zum Teil dramatisch schlecht, auch wenn die veröffentlichten Statistiken diese Situation nicht widerspiegeln. Durch weitere bereits in der letzten Legislaturperiode angestoßene Maßnahmen wird sich diese Situation weiter in Richtung plansozialistisches System verändern, wenn nicht Einhalt geboten wird. In der Zeit vor der Bundestagswahl haben alle politischen Parteien, die nun an der Koalition beteiligt sind, wiederholt ein Bekenntnis zum Erhalt der freiberuflich niedergelassenen Ärzteschaft abgegeben. Wir fordern nun dieselben Parteien auf, diesen Bekenntnissen Taten folgen zu lassen, die zur Bereinigung dieser prekären Situation beitragen. Aus Sicht der niedergelassenen Ärzte ist ein Paket mit folgenden Maßnahmen sofort notwendig, um weiteren Schaden von der medizinischen Versorgung der Bürger abzuwenden:
Die oben angeführten Sofortmaßnahmen müssen mittel- bis langfristig durch weitere Maßnahmen ergänzt werden, um das Gesundheitswesen in Deutschland wieder auf eine solide Basis zu stellen:
- Abschaffung des §87a, Absatz 2 des Sozialgesetzbuches V
- Abschaffung der Regelleistungsvolumina und Einführung der Direktabrechnung nach einer der GOÄ angelehnten, zu überarbeitender Gebührenordnung
- Änderung des § 95 Absatz 1 SGB V
- Keine zentrale Speicherung von Patientendaten
- Erhalt der freien Arztwahl, freie Wahl der Krankenkasse
- Erhalt der Freiberuflichkeit der Ärzte
- Ärzte bleiben Kraft Gesetzes Mitglieder der Ärztekammer. Die KV als Körperschaft des öffetlichen Rechts wird ersetzt durch demokratisch strukturierte regionale Ärztevereinigungen
- Veränderung des Vergütungssystems
- Beitragsautonomie der Kassen
- Gleiches Geld für gleiche Leistung
- Bürokratieabbau
- Prävention in einem wissenschaftlich begründbaren Maß
- Das Sozialgesetzbuch V muss überarbeitet werden!
Montag, 21. September 2009
Die Folgen der derzeitigen Gesundheitspolitik
facharzt.de [ Ärzte-Video zur Wahl: Kardiologen zeigen Versorgungsprobleme der Zukunft ]
Die Praxis um die Ecke ist verschwunden und nur das weit entfernte und überlastete MVZ bietet Hilfe – so könnte die Versorgung der Zukunft aussehen, fürchten die rund 210 Mitglieder des Berufsverband der Fachäzte für Kardiologie in freier Praxis (BFK). In einem besonders drastischen Video-Spot wollen sie den Patienten vor der Wahl nun auf die Problematik hinweisen.