Interessanter Artikel in der "Nervenheilkunde": Belohnungen, Anreize, Motivation, Lernen und Entscheidungsfindung werden in bestimmten Bereichen des Gehirns (ventrales Striatum, orbitofrontaler Kortex, Amygdala) verarbeitet. Diese werden über das dopaminerge, mesolimbisch-mesokortikale System beeinflusst, welches seinerseits bei verschiedenen Erkrankungen (Sucht, Parkinson, Schizophrenie) beteiligt zu sein scheint. Nahrungsmittel beispielsweise sind primäre Belohnungsreize, aber auch sekundäre wie Geld, Musik, Sportwagen oder witzige Cartoons aktivieren Regionen des Belohnungssystems (etwa den orbitofrontalen Kortex). Auch erfolgreiche soziale Kooperation stellt einen Verstärker dar.
Montag, 25. April 2005
Das menschliche Belohnungssystem
Der orbitofrontale Kortex (OFC) wird von Geschmacks- und Geruchsreizen angesteuert, aber auch durch visuelle Eindrücke und Körperempfindungen. Im medialen Teil werden die Belohnungswerte eines Reizes ermittelt, lateral eher Bestrafungen und damit Konsequenzen zukünftigen Handelns eingeschätzt. Wertzuweisung und Verhaltenssteuerung sind für gewinnoptimiertes Verhalten wichtig.
Die Amygdala verarbeiten unangenehme Gefühle (Angst) und deren Wahrnehmung (Gesichtsausdrücke), insbesondere aber intensive (besonders aufregende) Reize, unabhängig davon, ob angenehm oder unangenehm (diese Zuordnung erfolgt im OFC). Bei positivem feedback reagieren sie auf der linken Seite, bei negativem rechts. Das ventrale Striatum (hier: Nucleus accumbens) ist besonders aktiv bei Erwartung oder Erhalt einer Belohnung, abhängig von deren Höhe und mehr noch von ihrer Vorhersagbarkeit: es zeigt heftige Reaktionen bei wenig vorhersagbaren Stimuli, kaum Aktivität bei tatsächlich erfolgender, sicher erwarteter Belohnung (Kalkulation des Vorhersagefehlers). Motivation und Handlungsanreize aktivieren das System ("ich kann aktiv etwas tun, um eine Belohnung zu erhalten").
Diese Regionen des Belohnungssystems gelten als Schaltstellen für Handlungsauswahl und motivationale Prozesse. Unterschiedliche Reize werden miteinander verglichen und gegeneinander abgewogen und ermöglichen dadurch ein optimal an eine Situation angepasstes Verhalten. Kokain aktiviert besonders den N. accumbens, so daß die Vorstellung entstand, daß Dopamin ein Lust- oder Belohnungserlebnis vermittelt.
Entscheidend bei Suchterkrankungen ist offenbar, daß das Belohnungssystem in seiner motivationalen Komponente angeregt wird (verstärkte Aktivierung des dorsalen Striatum), weniger in Bereichen des subjektiv erlebten Lustgewinns (Amygdala). Parkinson-Erkrankte leiden an Dopaminmangel im nigro-striatalen und im mesolimbisch-mesokortikalen Bereich. Eine Dopaminausschüttung ist aber notwendig für die Aufnahme von ziel- und belohnungsgerichtetem Verhalten. So könnten der Tremor mit der Unentschiedenheit bei der Auswahl verfügbarer Handlungsalternativen, Rigor und Akinese mit der Unfähigkeit, das Gewünschte in die Wege zu leiten, verbunden sein.
Bei schizophrenen Erkrankungen besteht ebenfalls eine Dopamin-Imbalance. Das veränderte Signal-Rauschen-Verhältnis bei Hyperaktivität führt dazu, daß eigentlich bedeutungslose Reize subjektiv besondere Bedeutung erhalten und wahnhaft verarbeitet werden. Verminderte Dopaminaktivität im präfrontalen Kortex hingegen vermindert das Signal-Rauschen-Verhältnis, mit der Folge schächer fokussierter Informationsverarbeitung und gelockerter Assoziationen. (Normalerweise besteht eine phasische Kopplung zwischen tatsächlich bedeutsamen Reizen und der tonischen Aktivität des Dopamin-Systems, die aber bei psychotischem Erleben durch tonische Erhöhung der Aktivität entkoppelt ist).
Antidopaminerge Medikamente verbessern zwar die Verarbeitung des Bedeutungserlebens, vermindern aber häufig Motivation und die Fähigkeit, angenehme Gefühle zu empfinden.
Quelle: Abler B: Das menschliche Belohnungssystem - Erkenntnisse der funktionellen Bildgebung und klinische Implikationen. Nervenheilkunde 3 2005: 167
Exkurs: Die Amygdala
Die Amygdala (Mandelkerne) sind subkortikale Strukturen des Temporallappens, die entwicklungsgeschichtlich dem Paläokortex (dem Reptiliengehirn) zugeordnet werden. Ihr Input kommt aus vorverarbeiteten Sinneseindrücken und (assoziativ) aus dem Frontalhirn, sowie aus Thalamus, Hypothalamus und anderen subkortikalen Strukturen. Ihr Output reguliert in einer Rückkopplungsschleife die genannten Strukturen, die Basalganglien und den (für motivationales Verhalten wichtigen) N. accumbens.
Die Amygdala enthalten alle wichtigen Neurotransmittersysteme (Serotonin in besonders hoher Konzentration) und Benzodiazepinrezeptoren. Auffälligste und einheitliche Folge einer Läsion der Amygdala sind der Verlust aggressiver Verhaltensweisen und die Störung emotionaler und motivationaler Steuerung, während Wahrnehmung und kognitive Leistung nicht beeinträchtigt werden. Jede Angst gegenüber ursprünglich Angst auslösenden Reizen geht verloren, Affen mit zerstörten Amygdala beispielsweise nähern sich neugierig angstauslösenden Objekten, statt davor zu fliehen; eine Furchtkonditionierung ist nicht mehr möglich.
Insbesondere bei Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung zeigen die Amygdala ein geringeres Volumen (unspezifisch, auch bei schizophren Erkrankten und Zwangserkrankten), während sie bei Depressionen und Angsterkrankungen vergrößert sind.
Im Modell der frontobasalen Rückkopplungsschleifen wird angenommen, daß vergrößerte Amygdala Epiphänomene eines melancholisch-hyperstabilen Pols emotionaler Störung sind (depressive Stimmung, Antriebsverlust, Anhedonie, Abulie, depressive Angst, Grübeln), während verkleinerte Amygdala den hyperlabilen, psychotischen Pol darstellen (Dysphorie, Reizbarkeit, emotionale Instabilität, Impulsivität, psychotische Angst).
Quelle: Tebartz von Elst L.: Zur pathophysiologischen Bedeutung der Amygdala in der Affektregulation bei psychischen Störungen. Nervenheilkunde 2/2005:89