Die Depression ist weltweit eine der häufigsten und schwerwiegensten Erkrankungen. Sie wird dennoch oft nicht adäquat behandelt. Zurzeit ist nicht vorhersehbar, auf welches Antidepressivum der Patient ansprechen wird. Wichtig erscheint die Therapieoptimierung, beispielsweise durch die Bestimmung des Plasmaspiegels und eine daraus abgeleitete Anpassung der Dosis, adäquate Berücksichtigung von Risikofaktoren sowie die rechtzeitige Verordnung wissenschaftlich belegter Augmentationsstrategien.
Die unipolare Depression wird nach einer Hochrechnung der WHO im Jahre
2020 weltweit die zweithäufigste Erkrankung sein. Die Lebenszeitprävalenz für eine einzelne depressive Phase liegt bei etwa 12 bis 17 Prozent, die Rezidivrate beträgt 50 Prozent, die Chronifizierungsrate 15 bis 25 Prozent. Es besteht eine 21fach erhöhte Sterblichkeit durch Suizide und eine gegenüber der Normalbevölkerung um das Zwei- bis Dreifache erhöhte Gesamtmortalität.
Die meisten Erkrankten konsultieren an erster Stelle den Hausarzt, gefolgt vom Psychiater und Psychologen. Bei vielen Patienten werden diagnostische und therapeutische Defizite beobachtet.
Im randomisierten, kontrollierten Versuch sprechen etwa zwei Drittel der Patienten innerhalb von vier bis acht Wochen auf Antidepressiva an. Die Effektstärke von Antidepressiva liegt im Mittel bei circa 0,2 bis 0,4 und ist damit niedrig. Der jeweilige Anteil eines vermutlich genetisch vermittelten spezifischen und unspezifischen Remissionsfaktors ist unklar.
Vorrangiges Ziel einer Therapieoptimierung muss die Erhöhung der Zahl voll remittierter Patienten in der Akut- und Erhaltungstherapie sein. Eine rationale antidepressive Therapie beginnt mit der Erstellung präziser Therapieziele: Linderung des akuten depressiven Syndroms, mittelfristig Vollremission, langfristig Prävention von weiteren depressiven Phasen sowie des Suizids. Eine klare Vorstellung über die Therapieziele ist Voraussetzung für die Wahl der jeweilig anzuwendenden Substanz und der initialen Dosis.
Stehen Angst, Agitation und Schlafstörungen im Vordergrund, wird unter Umständen eine eher sedierende Substanz vorzuziehen sein; ist mit Suizidalität zu rechnen, sollte an Präparate mit geringer Toxizität und keinen exzitatorischen Nebenwirkungen gedacht werden. Liegt eine bipolare Depression vor, ist gegebenenfalls von vornherein das Antidepressivum mit Lithiumsalzen zu kombinieren, um den Umschlag in eine Manie zu verhindern. Ein wesentliches Kriterium für die Substanzauswahl, das heißt für die Verträglichkeit, sind Komorbidität und Komedikation.
Weitere wichtige Kriterien zur Auswahl des optimalen Medikaments sind die
individuelle Erfahrung von Arzt und Patient mit einer bestimmten Substanz, eventuell das Ansprechen in einer früheren Krankheitsphase und die Kosten. Für die Anwendung von NSMRI bei geeigneten Patienten spricht neben der langjährigen Anwendungserfahrung auch der günstige Preis. Sie müssen aber individueller eintritriert und kontrolliert werden als die SSRI oder andere neuere Antidepressiva.
Frühzeitige Plasmaspiegelbestimmungen sind deshalb insbesondere bei Anwendung von NSMRI dringend zu empfehlen. Dies gilt insbesondere auch für die antidepressive Therapie bei alten Menschen, Risikopatienten, hoher Dosierung und bei fehlender Symptombesserung während der ersten zwei Wochen.
Zeigt ein Patient nach vier Wochen keinerlei Besserung, sinkt die Wahrscheinlichkeit erheblich, dass er danach noch auf diese Substanz ansprechen wird. Bei tatsächlicher Therapieresistenz oder bei einer Teilremission empfiehlt sich eine Augmentation mit Lithiumsalzen (angestrebter Lithiumblutspiegel: 0,5 bis 0,8 mmol/L). Etwa 50 bis 60 Prozent der bislang therapieresistenten Patienten sprechen nach zahlreichen kontrollierten Studien innerhalb von zwei bis sechs Wochen auf die Augmentation an.
Alternativ können auch Schilddrüsenhormone zur Augmentation eingesetzt werden.
Das häufig geübte Umsetzen auf ein anderes Antidepressivum, beispielsweise aus einer anderen pharmakologischen Klasse, findet bezüglich seiner Wirksamkeit in der Literatur nur geringe Unterstützung. Zusätzlich ist bei diesem Vorgehen für den Patienten nachteilig, dass die Latenzzeit von mehreren Wochen bis zum Eintreten der erwünschten Wirkung mit dem neuen Antidepressivum noch einmal durchlaufen werden muss.
Nutzenoptimierung einer antidepressiven Pharmakotherapie bedeutet zuerst die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit für das Erreichen und die Aufrechterhaltung der Vollremission. Sie muss von einer Risikominimierung begleitet werden, also der Vermeidung aller Faktoren, die die angestrebte Nutzenoptimierung verhindern können. Eine leitliniengerechte, kompetente Depressionstherapie kann zu einer gewissen Erhöhung der direkten Kosten führen, die aber durch größere Kosteneffektivität kompensiert wird.
Dtsch Ärztebl 2004; 101: A 1337-1340 [Heft 19]